Kalter Amok
der rechten Kniekehle des Mädchens. Murray hatte die Vergrößerungen aus der roten Serie gemacht, und zwar von den Nummern 1, 2 und 4. Er hatte auf jedem Foto die Stellen mit Filzschreiber angemerkt.
Auf dem ersten Foto lag das Mädchen auf einem Mann, der sie umarmte und mit den behaarten Händen ihre Hinterbacken festhielt. Das Mädchen stemmte sich mit den Armen nach hinten, und ihr langes, schwarzes Haar fiel über den Rücken. Ihre Beine waren gespreizt und boten den besten Blick der drei Fotos auf ihre Schenkel. Das zweite Foto war das schlechteste. Hier war sie auf Händen und Knien, und ein anderer Mann war hinter ihr. Nummer vier war ein einziges Durcheinander. Das Mädchen befand sich in einem Gewühl nackter Leiber und war nur durch das Mal auf der Rückseite des ausgestreckten Beins zu erkennen. Haydon stellte wieder einmal fest, wie raffiniert der etwas schwierige Polizeifotograf seine Arbeit meisterte.
Haydon hatte inzwischen alle Detailausschnitte herumgereicht bis auf die aus der roten Serie. Er hatte sich Dystals Schreibtisch zugewandt und die drei Fotos von den Beinen des Mädchens nebeneinandergelegt. Jetzt betrachtete er sie einen Augenblick, drehte sich um, stand auf und ging hinaus.
Als er zurückkam, standen Mooney, Hirsch und Dystal vor den roten Ausschnittvergrößerungen.
»Was ist das?« fragte Mooney.
»Ein Stück vom Puzzle«, antwortete Haydon. Er blätterte einen Ordner durch. »Das ist Vanstratens Untersuchungsbericht über Petra Torres.« Er nahm einen Bleistift von Dystals Schreibtisch und kreiste damit etwas ein. »Unter ›besondere Merkmale‹ steht hier: ›Rückseite des rechten Knies gekennzeichnet durch einen Nevus mit einem Querschnitt von etwa dreieinhalb Millimetern.‹ Ein Muttermal also.«
»Dann ist das Petra Torres?« Hirsch nahm die roten Gruppenfotos und legte sie der Reihe nach über die Ausschnittvergrößerungen des Muttermals. »Verdammt!«
Mooney schüttelte den Kopf, und Dystal schaute Haydon erwartungsvoll an.
»Ich hatte das schon fast vermutet, als Leo sagte, Mrs. Guajardo hätte das Spanisch der meisten Mädchen, die wie Petra vorübergehend in dem Haus wohnten, nicht verstanden«, sagte Haydon. »Die Torres war aus El Salvador, aber ich nehme an, die anderen, zumindest die, von denen Mrs. Guajardo sprach, waren Brasilianerinnen. Sie sprachen Portugiesisch, eine, man könnte sagen, linguistische Kollage aus Spanisch und Französisch. Wegen der französischen Anklänge ist ihr die Sprache sonderbar vorgekommen.«
»Wir sollten versuchen, jedes Mädchen, das auf diesen Fotos auftaucht, zu identifizieren«, schlug Mooney vor. »Und wir sollten sie sehr schnell finden.«
»Ich fürchte, wir werden einige von ihnen in den Akten des Coroners entdecken, unter der Rubrik ›unbekannt‹«, sagte Haydon.
Hirsch blickte auf. »Glaubst du, Longoria hat die Mädchen der Partner ins Haus geliefert?«
»Ja, das glaube ich. Außerdem glaube ich, daß sie Brasilianerinnen waren und daß über das Haus eine Verbindung zu Guimaraes besteht.«
»Was für eine Verbindung?« fragte Dystal.
»Es ist durchaus möglich, daß er oder jemand anders ein System entwickelt hat, um die Mädchen illegal in die Staaten einzuschleusen. Vanstraten ist aufgefallen, daß die Torres keine Narben von der Pockenschutzimpfung aufwies. Wäre sie legal eingewandert, hätte sie solche Narben haben müssen. Weiß Gott, was aus ihnen wird, wenn sie erst einmal hier sind.«
Haydon setzte sich und schlug wieder die Beine übereinander. »Leo, bring die Porträtvergrößerungen dieser Frauen ins Leichenhaus und stelle fest, ob sie zu Fotos unbekannter Toter passen, die, sagen wir, in den letzten vier Monaten aufgetaucht sind. Nein – sechs Monate. Das können nicht allzu viele sein.«
»Wir haben hier fünf volle Porträts«, sagte Mooney. »Und sie sehen ganz und gar nicht lateinamerikanisch aus.«
»Das macht nichts«, erwiderte Haydon. »Nimm sie alle mit. Eine jede von ihnen könnte dort zu finden sein. Und außerdem glaube ich, Bob hat recht, Ed. Du solltest dich noch einmal mit dieser Duplissey unterhalten und sie ein wenig ausquetschen. Sie weiß etwas. Besorg uns die Informationen, oder bring das Mädchen her.«
»Und was ist mit der Croft?« fragte Hirsch. »Sollte man nicht mit ihr das gleiche machen?«
Haydon schüttelte den Kopf. »Sie ist bisher die einzige, die eine Beziehung zu diesem Haus aufweist und noch nicht tot ist. Vielleicht ist sie die Drahtzieherin der Sache.
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