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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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wollte nicht, dass sie herumplärrte. Und mit dem Klatschen sollte sie auch aufhören, sofort.
    Er beschleunigte seine Schritte noch mehr.
    Er sah, dass sie die Wand erreicht hatte und damit begann hinaufzuklettern. Ein schräges Felsband führte von rechts nach links mitten hinein in die steilen Felsen.
    Ferdinand ärgerte sich darüber, dass sie ihm schon so lange entkommen konnte. Er verfluchte den weiten Weg zurück zu seinem Versteck. Doch zugleich war er sich bewusst, dass dies alles nun nicht mehr lange dauern konnte. Bald würde er sie zu fassen kriegen. Sie kam ihm nicht mehr aus. Denn weiter oben waren die Felsen so steil, dass sie nicht hinaufklettern könnte. Nie!
    Kaum eine Minute nach ihr erreichte er die Felsrippe und kletterte los. Er hatte keine Angst vorm Klettern. Nicht vor der Tiefe und nicht davor, unter Umständen abzustürzen.
    Sein Klettern war anders als ihres. Er stieg wie ein Anfänger, unbeholfen, unrhythmisch, mit falschen Bewegungen, aber – im Gegensatz zu einem bergsteigerischen Neuling – ganz ohne Angst. Er kletterte nicht, indem er sich auf den Fußspitzen aufrichtete, mit den Händen das Gleichgewicht hielt und durch geschickte Gewichtsverlagerung an Höhe gewann. Er »rampfte« den Berg hinauf, zog sich ständig mit den Armen hoch und krabbelte, wo immer das ging, mit den Knien über den Fels. Dass er mittlerweile zwanzig, dreißig Meter in die senkrechte Wand hineingeklettert war und ein Fehltritt tödliche Folgen haben konnte, irritierte ihn überhaupt nicht.
    Was ihn hingegen irritierte, war, dass er sich urplötzlich der Frau gegenübersah. Er stieg einen Schritt hoch, hielt sich an einer Felsschuppe fest, stieg mit dem anderen Fuß kratzend höher, schaute hoch, um den nächsten Halt für die Hand zu suchen – und sah da die Füße der Frau: die Trekkingschuhe, die Socken, die dünne Berghose. Sie stand genau über ihm.
    Keinen Meter von ihm entfernt stand die Frau auf einem schmalen Felsabsatz.
    Sie stand über ihm und sah zu ihm herab.
    Und da erkannte er, dass jetzt er der Gejagte war.

17
     
    In Scharnitz trafen alle zusammen: Hosp mit seinen Kriminalern, die Gendarmerie aus der Region, die Bergrettung Scharnitz und Seefeld, Pablo und Schwarzenbacher. Der Hubschrauber war auf einer Wiese am Ortsrand gelandet, das gezüchtete Damwild in seinem nahen Gehege hatte geradezu panisch reagiert. Und auch die zahlreichen Huskys in ihrer Zuchtstation drüben bei den Sonnenplatten schienen nicht nur vom Lärm des Helikopters aufgeschreckt worden zu sein – sie schienen die Spannung, die in der Luft lag, förmlich zu spüren.
    »Die bayerischen Kollegen sind zur Brunnsteinhütte unterwegs«, berichtete der Einsatzleiter der Bergrettung Hosp und Schwarzenbacher. »Soweit ich weiß, auch Beamte von der bayerischen Polizei.«
    »Sehr gut«, sagte Hosp.
    Schwarzenbacher fragte nach: »Wie lange braucht man da rauf?«
    Der Bergrettungsmann antwortete, ohne zu zögern: »Vom Parkplatz neben der Bundesstraße braucht man normalerweise so etwa eineinhalb Stunden. Aber die fahren mit den Geländewagen näher ran. In maximal einer Stunde sind die dann bei der Hütte.«
    »Sind die Wirtsleute verständigt?«
    »Die wissen schon die ganze Zeit Bescheid.«
    »Sehr gut«, sagte Hosp noch einmal. Und an Schwarzenbacher gewandt: »Ich schicke einen Scharfschützen mit dem Hubschrauber hoch. Der Pilot sagt, er kann auch in der Dunkelheit fliegen. Der Himmel ist klar, und er kennt die Gegend sehr genau. Mir ist dennoch nicht ganz wohl dabei.«
    Schwarzenbacher schaute zu Hosp hoch, doch seine Miene verriet nicht, was er dachte. Was hätte er dem Kommissar auch sagen können? Dass er froh war, nicht mehr selbst die Verantwortung tragen zu müssen?
    »Kann ich mitfliegen?«, fragte Pablo.
    Hosp schüttelte den Kopf. »Du kannst ihr nicht helfen. Nicht im Augenblick. Sei für sie da, wenn wir sie da oben abgeholt haben. Das ist vielleicht das Allerwichtigste, was du tun kannst.«
    Einige Minuten später erhob sich der Helikopter in die Luft. Mit seinem grellen Suchscheinwerfer tastete er den Bergwald ab, der sich hinter dem Bahngleis und dem Wanderweg über die steile Flanke in Richtung Brunnsteinspitze hinaufrankte.
    * * *
     
    Marielle trat zu.
    Sie stand am Ende der Felsrippe, über der sich die Wand noch mehr aufsteilte und zunehmend schwieriger werden würde, und trat mit der grob profilierten Sohle ihres Trekkingschuhes zu. Voll auf die Hand von Ferdinand Senkhofer. Auf die Hand, mit der

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