Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
können uns dabei unterhalten und anschließend noch in mein Büro gehen, je nachdem, für wie ergiebig Sie mich befinden.«
Pia stimmte zu und ließ sich von Petersen durch die Anlage führen. Das Gut Rothenweide wirkte im schwindenden Tageslicht imposant und irreal wie eine Filmkulisse. Hinter ihnen befand sich das Torhaus mit seiner breiten Durchfahrt. Auf derselben Achse stand vor ihnen in einiger Entfernung das Herrenhaus. Es war kompakt und symmetrisch gebaut, mit zwei Vorbauten links und rechts vom Portal. Seitlich wurde die Anlage von gewaltigen Stallgebäuden und Scheunen begrenzt. Das Gut befand sich auf einer Art Insel, die Rückfront grenzte an den Grevendorfer See, seitlich und vorn rahmten ein Flussarm und ein künstlich angelegter Graben das Gelände ein.
Mit einem Anflug von Stolz in der Stimme bemerkte Jens Petersen: »Es ist etwas ganz Besonderes, nicht wahr? Teile desHerrenhauses stammen aus dem Mittelalter. Wenn es mir mal nicht so gut geht, dann gehe ich einfach raus und mache einen Spaziergang über Rothenweide. Ich versuche dann, alles bewusst wahrzunehmen. Ich nehme mich dann selbst nicht mehr so wichtig. Was bedeutet mein kurzes Leben gegen diese Gemäuer, die seit fast 500 Jahren hier stehen und Kriege und Naturkatastrophen überdauert haben?«
»Wenn man es so betrachtet ...« Auch ein aufmunterndes »hm« hätte ausgereicht, Petersen am Reden zu halten.
Pia ließ ihn gewähren. Wenn Menschen über ihre Leidenschaften sprechen, verraten sie unbewusst sehr viel von sich selbst, wusste sie.
»Der Standort mit einer kleinen Burg wird erstmalig im 13. Jahrhundert erwähnt. Spätere Besitzer haben die Burg dann aufgegeben und das jetzige Herrenhaus errichtet. Es ist ein typischer spätmittelalterlicher Bau, bestehend aus zwei Querhäusern. Anfangs befand sich die Eingangstür etwa zwei Meter über dem Erdboden, damit man abends eine hölzerne Leiter einziehen und so den Zugang zum Haus erschweren konnte. Das Haus war eine Stätte der Verteidigung, aber im Laufe der Jahrhunderte ist natürlich immer wieder an- und umgebaut worden. Die Wirtschaftsgebäude sind erst im 16. und 17. Jahrhundert gebaut worden, als aus den Ritterburgen allmählich landwirtschaftliche Großbetriebe der neuen Zeit wurden. Aber ich schwärme Ihnen hier etwas vor, weil ich mich selber so begeistern kann ...«
Sie waren inzwischen vor einem Stallgebäude links vom Herrenhaus angekommen, durch dessen blinde Fenster etwas Licht fiel.
»Würden Sie einen Augenblick hier auf mich warten?«, fragte Jens Petersen plötzlich geschäftsmäßig. »Ich habe mit denen da drinnen ein Hühnchen zu rupfen. Ich bin gleich wieder da.«
Pia nickte. Ihre Neugier trieb sie dazu, in Richtung Herrenhaus zu schlendern und sich umzusehen. Das gesamte Gebäude war unbeleuchtet und sah mit seinen dunklen Fensterscheiben und der massiven Holztür verlassen und unbewohnt aus. Pia fiel auf, dass vor den Fenstern im Kellergeschoss neue Metallgitter angebracht worden waren. Das war bemerkenswert, da ansonsten alles in seinem ursprünglichen Zustand belassen zu sein schien. Hatte der jetzige Besitzer Angst vor Einbrechern?
Durch die kahlen Baumstämme hinter dem Haus schimmerte der See. Pia nahm den Geruch von Wasser und faulenden Pflanzen wahr. Im Sommer, bei Sonnenschein, strahlte dieser Ort sicherlich eine gewisse Heiterkeit aus, jetzt verursachte Pia das heisere Schreien eines Wasservogels eine Gänsehaut. Hinter ihr knirschten Schritte im Kies und sie drehte sich um.
»Schade, dass es schon so dunkel ist. Es lohnte sich sonst, einmal um das Gelände herumzugehen und alles anzuschauen. Ich bin jetzt frei, Ihre Fragen zu beantworten.«
»Sie arbeiten hier auf dem Gut als Verwalter?«
»Ja. Einer muss sich ja um alles kümmern. Die Besitzer kommen immer nur an den Wochenenden oder für eine Woche Urlaub hierher.«
»Wie lange arbeiten Sie schon auf Rothenweide?«
»Fast zehn Jahre. Ich bin angestellt worden, kurz nachdem Bernhard Förster es gekauft hat. Die Vorbesitzer konnten es nicht mehr halten, es war völlig heruntergewirtschaftet.«
»Und wie läuft der Betrieb jetzt?«
»Es trägt sich gerade mal so. Es ist schwierig, mit so alten Gebäuden Gewinn bringend zu arbeiten. Außerdem ist das auch gar nicht Försters vorrangiges Interesse. Er hat sich hier einen Traum erfüllt: den Traum vom Leben eines Landadligen.Dazu gehören die Pferde, die Jagd und das schöne Haus voller Antiquitäten.«
»Herr Förster lässt sich seinen Traum
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