Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
fragte Gerlinde Kontos.
»Sie haben mich gerufen, weil Sie sich Sorgen um Agnes machen. Also sollten wir handeln. Ich telefoniere und Sie suchen das Adressbuch«, sagte sie resolut.
Gerlinde reagierte dankbar auf die konkrete Anweisung und stolperte los.
Im folgenden Telefongespräch mit Karla Petzold erfuhr Pia nichts Neues. Agnes hatte gesagt, sie wolle nach Hause fahren. Von weiteren Plänen für den Abend war nicht die Rede gewesen. Bevor sie zum Lernen kam, war Agnes bei ihrem Pferd gewesen. Ob Agnes einen heimlichen Freund hatte, wusste Karla nicht zu sagen. Es klang fast ein wenig enttäuscht, so als würde ihre Freundin ihr ein wichtiges Geheimnis vorenthalten. Pia beendete das Gespräch beunruhigter, als sie es begonnen hatte.
Gerlinde Kontos fand ein kleines, in giftgrünes Leder gebundenes Büchlein, mit Adressen und Telefonnummern von Agnes’ Freunden und Bekannten. Pia führte eine Vielzahl von Gesprächen, bei denen sie lediglich eine Menge Leute aufschreckte, aber keine Hinweise auf Agnes’ Verbleib bekam. Schließlich rief sie noch Marten Unruh, dann ihre Kollegen auf dem Revier in Eutin an.
Ersterer reagierte mürrisch und unkonzentriert, da sie ihn aus dem Schlaf geklingelt hatte. Er befand sich noch in Lübeck, versprach aber, am Vormittag wieder nach Grevendorf zukommen. Letztere reagierten eher phlegmatisch, da sie den Ernst der Lage nicht erkannten und Agnes unter »ausgerissene Teenager« einordneten.
»Haben Sie jemanden, den Sie anrufen können, damit Sie nicht ganz alleine sind?«, fragte Pia, als sie im Begriff war, das Haus wieder zu verlassen.
»Ich werde Dimitri anrufen, Agnes’ Vater«, antwortete Gerlinde Kontos düster, »obwohl ich bei ihm mit keinerlei Unterstützung rechnen kann. Der Mann wird mich in Stücke reißen.«
»Befindet er sich immer noch in Griechenland?«
»Ich glaube ja.«
»Fragen Sie ihn auch, ob er eine Ahnung hat, wo Agnes stecken könnte. Wir stehen ziemlich unter Zeitdruck.«
»Frau Korittki ...«
»Ja?«
»Bitte – finden Sie Agnes. Wenn ihr etwas zustößt, weiß ich nicht, was ich tue.«
Pia machte sich sogleich daran, Agnes’ gestrigen Tagesablauf zu rekonstruieren. Sie suchte zunächst Rothenweide auf, denn dort stand Agnes’ Pferd unter Verena Langes Obhut im Stall.
Leider war Verena nicht anwesend, sie hatte ihren freien Tag. Pia überraschte die Pferdewirtin jedoch vor ihrem Haus in Grevendorf. Verena Lange wollte gerade wegfahren. Sie lief geschäftig zwischen ihrem Haus und dem geöffneten Kofferraum ihres Wagens hin und her und lud ein paar Taschen und Kisten mit Pferdezubehör ein. Ihre Auskünfte über Agnes fielen dürftig aus.
Agnes war am gestrigen Tag im Stall gewesen, sie hatten auch kurz miteinander gesprochen, aber Agnes hatte keine besonderen Pläne erwähnt. Sie wollte noch zu einer Freundinzum Lernen fahren, das hatte sie wenigstens behauptet. Verena zeigte ihr Desinteresse daran, der Polizei zu helfen, ganz offen. Das war also die umschwärmte Verena Lange, Freundin aller »Pferdemädchen« in ihrem Stall. Und nun, wo es wirklich ernst wurde, war sie nicht einmal bereit, ein paar Minuten ihrer Zeit für eine von ihnen zu opfern. Wenn Pia etwas verabscheute, dann war es Verrat.
Als Verena Lange sich anschickte, in ihr Auto zu steigen, ohne auch nur den Versuch unternommen zu haben, sich an einen Hinweis über ihren Verbleib zu erinnern, packte Pia ihren Arm und drehte sie zu sich herum. Ihr Gesicht befand sich jetzt so dicht vor Verenas, dass ihre Augen nur 20 Zentimeter von denen der anderen Frau entfernt waren. Ihr Griff war kräftig.
Verena biss sich vor Schmerz auf die Lippe, aber sie hielt Pias Blick mit kühlen, leeren Augen stand. Pia zwang sich, ihrem Impuls, Verena Lange kräftig durchzuschütteln, nicht nachzugeben.
»Wenn Sie ein wenig Herz haben und einen Funken Anstand, dann bleiben Sie mal ein paar Sekunden stehen und forschen in Ihrem Gehirn nach etwas, das uns helfen kann, Agnes zu finden. Die Mädchen im Stall himmeln Sie scheinbar an, sie vertrauen Ihnen. Also lassen Sie Agnes jetzt nicht hängen!«, sagte sie leise.
»Lassen Sie los, das tut weh«, zischte Verena böse.
Pia lockerte den Griff und atmete tief durch. Agnes hatte von dieser Frau mehr verdient als ein paar flüchtige Bemerkungen im Vorbeigehen.
»Agnes hatte einen Freund, aber sie wollte nicht, dass jemand von ihm erfährt. Ich habe ihr mein Wort gegeben. Darüber haben wir gestern gesprochen.«
»Warum ›hatte‹ ...?«,
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