Kalter Mond
verbindlicher gestimmt war.
Und er hat sich anständig benommen, zumindest unter meiner Aufsicht. Keine weiteren Vorkommnisse. Allerdings gab es ein paar Dinge, die mich stutzig machten. Zum Beispiel: Wir gehen eines schönen Nachmittags spazieren und sehen diese Frau, mit einer Katze auf der Schulter. Ich erwähne nur so, dass ich zu Hause auch eine Katze habe, und Raymond fragt mich: ›Haben Sie schon mal eine Katze von innen gesehen?‹ Natürlich sag ich Nein, und er sagt: ›Ich schon.‹ Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde eine solche Bemerkung schon ein bisschen beunruhigend.
Als ich nachhakte, wie es denn dazu gekommen sei, dass er eine Katze von innen gesehen hätte, sagte er, sie hätten eine im Biologieunterricht seziert. Das hab ich ihm nicht abgekauft. Erstens benutzen sie dafür immer Frösche oder Schweineföten. Zweitens war er erst in der elften Klasse. Er hatte noch gar keine Biologie.
Ein andermal wies ich ihn darauf hin, dass seine zwei Jahre fast um wären. ›Zwei Jahre‹, sagte er. ›Keine Ahnung, wieso sie mir zwei Jahre aufgebrummt haben, bloß weil ich Bobby Blackmore eins über die Rübe gegeben habe. Ich hab viel schlimmere Sachen gemacht, und es schien keinen zu stören.‹ – ›Wie was zum Beispiel?‹, fragte ich. Aber er sagte keinen Pieps mehr, so wie er es immer tat, und ich wusste, dass absolut nichts mehr aus ihm rauszuholen war. Er war der Typ, bei dem du auf den ersten Blick weißt, etwas stimmtnicht mit dem. Irgendwas fehlt. Passen Sie ja gut auf, wenn Sie Raymond Beltran am Hals haben, mehr kann ich nicht sagen. Wenn Sie mehr über ihn wissen wollen, versuchen Sie’s mal beim Katholischen Kinderhilfswerk. Die Mutter war ein Albtraum.«
Delorme hatte einmal in den Neunzigerjahren eine Mitarbeiterin des Jugendamts, eine Frau namens Sandra Mayhew, kennen gelernt, als sie beide im Zuge einer Konferenz zum Thema Frauen und Strafrecht an einer Podiumsdiskussion teilnahmen. Mayhew hatte zehn Jahre lang in Toronto an vorderster Front Sozialarbeit geleistet und so ziemlich alles gesehen.
Originalton Sandra Mayhew über Gloria Beltran und Sohn: »Du kannst natürlich nichts von dem, was ich dir jetzt sage, verwenden, Lise. Außer, um dir ein Bild zu machen, natürlich. Du kannst mich nicht als Zeugin aufrufen.«
»Das ist mir klar«, sagte Delorme. »Aber wir arbeiten hier gegen die Uhr. Wir suchen nach jedem möglichen Anhaltspunkt.«
»Dann will ich dir erst mal was über Gloria erzählen. Kubanische Einwanderin, keine Ausbildung, einzige nachvollziehbare Einnahmequelle ein Drogenhändler, den es kurz nach ihrer Einreise erwischt hat.
Eines Tages statte ich ihr einen Überraschungsbesuch ab, so wie es von uns erwartet wird, sie kommt an die Tür, und da ist dieser Kerl, der es sehr eilig hat, rauszukommen, und sich im Gehen noch schnell die Hose hochzieht. Ganz offensichtlich, dass sie ihn gevögelt hat und Raymond in der Wohnzimmerecke vor der Glotze sitzt, als wäre nichts. Ich meine, Gloria hat so wenig Gespür, dass sie es gar nicht merkt, wenn sie äußerst gestörte Verhaltensweisen an den Tag legt.
Raymond schien sich auch nichts dabei zu denken. Ich hab mich am nächsten Tag mit ihm unterhalten, und er wussteoffenbar nicht, weswegen ich mir Gedanken machte. Wir hatten bereits eine Überwachungsverfügung, und du kannst mir glauben, wir haben ernsthaft über eine staatliche Vormundschaft nachgedacht, aber Raymond war nun mal schon fünfzehn, fast sechzehn. Es hätte wenig gebracht, ihn für ein paar Monate in unsere Obhut zu nehmen.
Die Nachbarn beschwerten sich über beide. Ihre Wohnung war verdreckt – ich meine, Ekel erregend, und du kannst mir glauben, nach zehn Jahren in dem Geschäft ekelte ich mich nicht so leicht. Und Raymond war gewalttätig – nicht so wie einige Kids, die ungezügelt sind, sich ständig prügeln und so. Er war ein Grübler. Als er diesen Jungen mit der Schaufel schlug, war das wegen irgendeiner Beleidigung, die Monate zurücklag.
Ich hab ein paarmal versucht, mit ihm zu reden, aber man kam an den Jungen nicht ran. Keinerlei Reaktion. Zum Teil habe ich eine extreme Feindseligkeit gegenüber Frauen gespürt – kein Wunder, wenn man bedenkt, dass seine Mutter ständig Fremde gebumst hat. Aber es war mehr als das. Er ist zwar nur ein paarmal vor Gericht gekommen, aber er war weitaus häufiger verdächtig. Wir reden hier von Regent Park. Wer da Ärger sucht, wird fündig.
Sprich mal mit dem Dezernat für
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