Kalter Mond
Häuptling der Gruppe am Red Lake angerufen. Ich hab ihm nicht gesagt, dass ich von der Polizei bin. Hab gesagt, ich bin Banker und überprüfe für ein Darlehen seine Bonität. Und der Häuptling hat für den Kerl gebürgt. Hat ihn Raymond Red Bear genannt. Behauptet, er wäre bei ihnen im Red-Lake-Reservat geboren und aufgewachsen.«
»Wozu macht er sich all die Mühe? Ich dachte, Status-Ausweise sind leicht zu fälschen.«
»Sind sie auch. Und deshalb brauchst du vielleicht jemanden, der für dich bürgt. Du
bezahlst
vielleicht sogar jemanden, damit er für dich bürgt. Manchmal kann es ganz nützlich sein, Ureinwohnerstatus zu haben«, sagte Jerry, »auf Jobsuche zum Beispiel.«
»Sehr witzig, Jerry, worauf genau wollen Sie hinaus?«
»Bis vor kurzem noch haben die Viking Riders ihren Stoff aus Montreal bekommen. Dann haben sie den Fehler gemacht, sich mit den Hells Angels anzulegen.«
»Vorbei mit dem Stoff.«
»Vorbei mit dem Stoff aus Montreal. Aber da sie nun mal Bikers sind und über einigen Unternehmergeist verfügen, haben sie einen Deal mit Ureinwohnern direkt hinter der Grenze nach Michigan ausgehandelt. Hat letzten Frühsommer angefangen. Sie fliegen das Zeug über den Lake Huron, den French River rauf bis zum Lake Nipissing. Wenn du es geschickt anstellst, verlässt du dabei in keinem Moment indianisches Territorium.«
»Guter Trick, um es aus jedem Zuständigkeitsbereich rauszuhalten.«
»Sie haben eine schmutzige Phantasie, Detective Delorme. Das hat mir schon immer an Ihnen gefallen.«
Jerry hielt das Foto hoch. »Netter Zug an ihm, sich als Hollywood-Indianer zu verkleiden. Wirft uns um ein paar Jahrhunderte zurück.«
»Beltran macht also, den Status-Ausweis und den Häuptling in der Tasche, auf Indianer und übernimmt das Importgeschäft von den Riders.«
»So lautet unsere Theorie.«
»Und jetzt verraten Sie mir, wo wir Beltran finden, oder?«
»Tut mir leid. Wir observieren ihn bis jetzt noch nicht. Wir haben nur das Rosebud observiert.«
»Na ja, ich will Ihnen den anderen Grund nennen, weshalb wir Beltran suchen. Wir glauben, er hat Terri Tait, und er wird sie töten.«
Jerry schnappte sich das Telefon und drückte die Inter-kom-Taste. »Ich sorg dafür, dass er zur allgemeinen Fahn-dung ausgeschrieben wird, Lise. Sobald wir was über ihn hören, erfahren Sie es auch.«
53
F rüher oder später landete Cardinal, wenn ein Fall allmählich unübersichtlich wurde, mit sämtlichen Akten im Konferenzzimmer. Da war er auch jetzt und ging die Stapel von Material durch, das die anderen Detectives gesammelt hatten. Er hatte sich die gerichtsmedizinischen Befunde sowie Arsenaults und Collingwoods Fotos vom Leichenfundort noch einmal angesehen, und jetzt durchforstete er Delormes ergänzende Berichte. Jeder Informationsschnipsel, den sie hatten, lag vor ihm auf dem Tisch.
Sie hatten die Fahndung sehr schnell an alle Einheiten durchgegeben, doch bis jetzt war Terri Tait noch nicht gesichtet worden. Und so brütete er nun über seinen Akten und hoffte auf irgendeinen Anhaltspunkt, wo sie nach ihr suchen sollten.
Seine Augen machten ihm allmählich zu schaffen.
Er lehnte sich auf seinem Sessel zurück und sah sich im Zimmer um, betrachtete die Fotos an den Wänden. Auf einem davon leistete Chief Kendall gerade den Amtseid; so gut sollte die Uniform nie wieder an ihm sitzen. Und auf einem war Cardinal selbst, eingemummelt wie ein Eskimo am verschneiten Minenschacht auf Windigo Island. Dann das Konterfei von Jerry Commanda vor dem Tor zum Eagle Park. Eagle Park war ein karitatives Lager am Südufer des Lake Nipis-sing, das früher einmal behinderten Kindern sowie Schützlingen des Kinderhilfswerks gedient hatte; Jerry hatte dort draußen eine erfolgreiche Suche nach einem als vermisst gemeldeten Zwölfjährigen geleitet. Das Lager hatte nach einem komplizierten Finanzskandal – einem ziemlichen Tohuwabohu,wie Jerry es nennen würde – vor langer Zeit geschlossen. Über dem Tor spreizte ein gusseiserner Adler seine Klauen und breitete die schwarzen Schwingen aus.
Cardinal wandte sich wieder den Akten zu. Seine Torontoer Spur war versandet. Beltrans letzte bekannte Adresse hatte sich als Sackgasse erwiesen; er war bei Nacht und Nebel abgehauen und hatte den Eigentümer der riesigen Wohnung im Manulife Centre um sechs Monatsmieten geprellt. Cardinal hatte sogar bei seinen früheren Nachbarn angerufen, von denen keiner etwas Vernünftiges beizutragen hatte. Beltran war ein
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