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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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geworden. Irgendwann hatte Catherine das Glück gehabt, zu Dr. Carl Jonas im Clarke Institute in Behandlung zu kommen. Er war ein langhaariger Mann mit rosigem Gesicht und angegrautem Bart und einem starken ungarischen Akzent, der schneller als irgendjemand sonst den Bogen raushatte und die perfekt ausgewogene Therapie und Medikation für Catherine fand.
    Doch dann war eine Phase eingetreten, in der Catherine in die schlimmsten Depressionen versank, die Cardinal je gesehen hatte. Eine Melancholie hatte zu lange angedauert, und dann war sie im Bett geblieben, und Cardinal konnte nichts, aber auch gar nichts tun, um sie aufzuheitern. Bald war sie nicht einmal mehr in der Lage gewesen zu sprechen. Es war, als hätte man sie in einer Taucherkugel in die Tiefen hinabgelassen, und die Seiten barsten unter dem enormen Druck ihres Kummers. Dr. Jonas hielt sich damals zu einem einjährigen Lehrauftrag in Ungarn auf.
    Catherine war von Klinik zu Klinik gewandert, ohne dass sich ihr Zustand besserte. Am Rande der Verzweiflung – und ständig Catherines Eltern im Genick, die von der Liebe zu ihrer Tochter geradezu besessen waren und dazu die Yankee-Überzeugungteilten, wonach etwas von vornherein nichts taugen konnte, wenn es nicht amerikanisch war – hatte Cardinal Catherine in die renommierte Tamarind Clinic in Chicago einweisen lassen. Die Rechnungen waren so Schwindel erregend gewesen, dass er sie zuerst für einen Witz gehalten hatte und dann für den Stoff, aus dem Albträume sind. Völlig unmöglich, sie von seinem Gehalt zu bestreiten; er und Catherine würden nie ein Haus besitzen, nie aus den Schulden rauskommen.
    Zu dem Zeitpunkt war er schon eine Weile beim Drogendezernat der Kripo Toronto gewesen. Er hatte Dutzende Kokain- und Heroindealer hinter Schloss und Riegel gebracht. Atemberaubende Summen waren ihm fürs gezielte Wegschauen geboten worden; Cardinal hatte sie jedes Mal zurückgewiesen. Die kalte Schulter gezeigt und die Bösen eingebuchtet. Eines Abends dann – eines Abends, den er seither jeden Tag seines Lebens bereute – war sein Widerstand gebrochen.
    Er und die Kollegen in seiner Einheit hatten das Hauptquartier eines mörderischen Schlägertypen namens Rick Bouchard hochgenommen. In dem darauf folgenden Chaos war Cardinal unter den Bodendielen eines Einbauschranks auf einen Koffer voller Bargeld gestoßen. Er hatte sich ein paar pralle Bündel in die Tasche gestopft und den Rest als Beweismaterial abgeliefert. Der Fall kam vor Gericht und Bouchard hinter Gitter.
    Eine Zeit lang war es Cardinal gelungen, den Diebstahl vor sich zu rechtfertigen. Er hatte die Rechnungen für Catherines Behandlung bezahlt und den Rest in Kellys Ausbildung gesteckt. So kam sie schließlich an die beste Kunstakademie, die Amerika zu bieten hatte, und absolvierte ein Graduiertensemester an der Yale. Doch da sprengte Cardinals Gewissen, das ihn seit Jahren quälte, die Fassade der Normalität.
    Er schrieb an Catherine und Kelly einen Bekennerbrief. Außerdem reichte er beim Polizeichef von Algonquin Bay seinen Rücktritt ein und spendete das restliche gestohlene Geld an ein Drogenrehabilitationsprogramm. Delorme hatte diesen Brief abgefangen und ihm ausgeredet, seinen Abschied von der Polizei zu nehmen. »Das bringt uns nur um einen guten Ermittler«, hatte sie gesagt. »Und es hilft niemandem.« Unglücklicherweise hatte Cardinals Tochter sein Vergehen auszubaden: Sie hatte Yale verlassen müssen, bevor sie ihren Abschluss machen konnte.
    Das war fast zwei Jahre her. Kelly war von New Haven nach New York gezogen und hatte seither nicht mehr mit ihm gesprochen. Nun ja, das traf es nicht ganz; es hatte Gelegenheiten gegeben, bei denen sie es nicht völlig hatte vermeiden können. Sie war zur Beerdigung ihres Großvaters nach Algonquin Bay zurückgekehrt. Doch die Wärme war verschwunden. Es lag ein spröder Ton in ihrer Stimme, als wäre ihr der Verrat irgendwie auf die Stimmbänder geschlagen.
    Cardinal schnappte sich das Telefon und wählte Kellys Nummer. Wenn eine ihrer Zimmernachbarinnen sich meldete, würde sie nicht ans Telefon kommen. Es würde eine Gesprächspause eintreten, und er würde etwas Lahmes zu hören bekommen wie: »Tut mir leid. Ich dachte, sie wäre da. Sie muss weggegangen sein.«
    Doch Kelly meldete sich.
    »Hi, Kelly, Dad am Apparat.«
    Das folgende Schweigen traf Cardinal wie ein gähnend tiefer Fahrstuhlschacht zu seinen Füßen.
    »Oh, hi. Ich hab gerade angerufen, weil ich Mom was fragen

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