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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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diesem Schuppen.
    »Mein kleiner Raymond«, sagte er. »Was ich dir jetzt zeigen werde, ist ein großes Geheimnis. Du hast gesagt, du willst etwas über Magie erfahren. Du willst lernen, wie man die Geister befehligt. Sie sich zu Nutze macht, um den Menschen, die man liebt, deiner Mama und mir, Gutes zu bringen. Wie man sich vor Feinden schützt. In der Zukunft liest. Bist du immer noch an diesen Dingen interessiert?«
    »Ja, Onkel.« Victor hatte ihm gesagt, er solle ihn Onkel nennen, und inzwischen kam es ihm ganz selbstverständlich über die Lippen. »Onkel, wieso riecht es hier so schlimm?«
    »Wenn du die Magie verstehst, wirst du wissen, dass das ein guter Geruch ist, kein Gestank. Aber willst du mir jetzt genau zuhören?«
    »Ja.«
    »Weil das, was ich dir jetzt zu sagen habe, das Wichtigste ist, was du je von mir hören wirst. Ich wiederhole: Was ich dir jetzt zeigen werde, ist ein großes Geheimnis. Es ist so geheim, dass ich dich töten werde, falls du jemals irgendeinem Menschen von dem, was du hier drinnen siehst oder was ich hier drinnen tue oder was du hier drinnen tust, erzählst. Hast du mich verstanden? Ich werde dich töten, Raymond.«
    Onkel Victors braunes, wie eine Walnuss zerfurchtes Gesicht kam näher. Seine schwarzen Augen sahen ihn forschend an, und Raymond wusste, dass der Alte seine Angst sehen konnte.
    »Ich sag’s keinem, Onkel.«
    »Ich liebe dich, mein Kind, aber wenn du darüber redest, werde ich nicht mehr zögern, dich zu töten, als ein Schlachter beim Schwein. Du wirst sterben, du wirst begraben, unddeine Mutter wird endlos Tränen um dich vergießen und nie wieder glücklich sein. Das willst du doch nicht, oder?«
    »Nein, Onkel.«
    »Wenn also jemand zu dir sagt: ›Hey, dieser Victor ist ein seltsamer alter Vogel. Was treibt der denn so in seinem Gartenschuppen?‹, was sagst du dann?«
    »Ich sage gar nichts.«
    »Vielleicht zwingt derjenige dich aber, etwas zu sagen. Was wirst du ihm sagen, wenn er dir den Arm verrenkt und dir wehtut, um dich zum Reden zu bringen?«
    »Ich sag ihm, ich weiß nicht, was du hier drinnen tust?«
    »Nein, du sagst ihm Folgendes: ›Onkel Victor bewahrt da drin seine Gartengeräte auf.‹ Das ist alles. Kein Wort mehr. Schließlich ist es die Wahrheit. Niemand kann behaupten, du lügst. Was sagst du also?«
    »Onkel Victor bewahrt da drinnen seine Gartengeräte auf.«
    Die knöchernen Finger packten ihn an der Schulter; sie fühlten sich wie die Krallen eines Habichts an. »Gut, Raymond. Du bist ein guter Junge. Du bist würdig, Magie zu lernen. Und jetzt will ich dir meinen Tempel zeigen.«
    Victor schob seinen Fuß unter ein Gestell mit Düngersäcken und trat auf ein Pedal. Etwas klickte, und die Rückwand drehte sich in einer Angel. Der Gestank wurde zehnmal schlimmer, und Raymond würgte.
    »Schon gut«, sagte Victor. »Du gewöhnst dich an den Geruch. Mit der Zeit wirst du ihn lieben. Es ist der Geruch der Macht.«
    Es war ein winziger Raum und stockdunkel außer einer einzigen roten Glühbirne, die an der Decke brannte. Als sich Raymonds Augen an das Dämmerlicht gewöhnten, sah er, dass der Raum sehr spärlich ausgestattet war: ein großer Tisch, ein Beil und eine Reihe Messer an der Wand. Die Wandselbst war mit Symbolen bemalt, die er nicht verstand. Mitten auf dem Tisch stand ein großer Eisentopf, mit einem Köcher langer Stöcke darin, die so gerade wie Pfeile waren.
    Er sah ein Huhn, das an einem Bolzen im Tisch festgebunden war, die schwarzen Augen voller Furcht.
    Victor deutete auf den Eisentopf.
    »Die Quelle meiner Macht«, sagte Victor. »Sieht nach nichts Besonderem aus, nicht wahr?«
    Raymond spürte, dass keine Antwort erwartet wurde. Sein Onkel streckte die Hände nach ihm aus, um ihn hochzuheben.
    Raymond zuckte zurück.
    Victor beugte sich herab und sprach in sanftem Ton.
    »Du hast nichts zu befürchten, mein Kind. Nichts. Das hier untersteht meiner Kontrolle. Du wirst lernen, diese Gefühle der Angst zu ignorieren. Irgendwann wirst du gar nichts mehr fühlen, und glaub mir, es ist ein großer Vorteil in dieser Welt, nichts zu fühlen. Und fürs Erste einmal sollst du wissen, dass ich dich beschützen werde. Ich werde nicht zulassen, dass dir irgendetwas zustößt. Nicht das Geringste.«
    »Ich will nach Hause, Onkel.«
    »Dafür ist es zu spät, Raymond. Bleib an meiner Seite, und dir stößt nichts Schlechtes zu.«
    Er hob Raymond hoch und stellte ihn auf eine Apfelkiste, so dass der Junge in den Topf schauen konnte.

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