Kalter Mond
die Lupe zu nehmen. Was glauben Sie, wie lange die brauchen würden, alles gründlich auf den Kopf zu stellen?«
»Das hat nichts mit dem Clubhaus zu tun«, sagte Lasalle. »Halten Sie mir doch bitte zugute, dass ich kein Vollidiot bin.«
»Im Moment weiß ich nur, was ich sehe, Mr. Lasalle – einen toten Viking Rider und einen anderen, der ein Motiv dafür hatte, ihn zu töten.«
»Ich hab ihn nicht umgebracht«, sagte Lasalle. »Auch sonst keiner von den Riders.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Hätten wir ihn umgebracht, dann hätten Sie ihn nie gefunden.«
In letzter Zeit ertappte sich Lise Delorme immer öfter bei dem Gedanken, was sie tun würde, wenn sie nicht zur Polizei gegangen wäre. Nachdem sie in Ottawa mit Wirtschaftswissenschaften im Hauptfach ihren BA gemacht hatte, war sie beinahe entschlossen gewesen, Geschäftsfrau zu werden. Doch dann hatte sie ein Seminar in Geschäftsethik besucht, und das hatte zweierlei bei ihr bewirkt: Es hatte Privatunternehmen den Glanz genommen und ihr Interesse an Wirtschaftskriminalität geweckt. Letzteres brachte Delorme an die Polizeischule in Aylmer und irgendwann zu ihrem sechsjährigen Dienst im Sonderdezernat, wo sie nicht nur mit polizeiinternen Ermittlungen in Berührung kam, sondern auch mit Straftaten, die als »vertraulich« eingestuft wurden, also mit Straftätern aus einer Bevölkerungsschicht, die ihre Mitglieder als gesetzestreu betrachtete – Politiker, Anwälte, Bankiers und so weiter.
Das Sonderdezernat hatte durchaus seine Reize gehabt – die Festnahme eines ehemaligen Bürgermeisters war ein Highlight gewesen –, doch es war auch ein einsames Geschäft. Andere Cops vertrauten ihr nie ganz, solange sie in der Abteilung arbeitete. Außerdem sah es so aus, als hätten die Kollegenbei der Kripo mehr Spaß, und so hatte sie irgendwann um ihre Versetzung dorthin gebeten.
Dies war einer der Tage, an denen sie ihre Entscheidung von damals bereute.
Erstens, weil sie gerade den Autopsiebericht zu Wombat Guthrie noch einmal gelesen hatte, der bestätigte, dass ihm die entsetzlichen Verletzungen tatsächlich vor Todeseintritt zugefügt worden waren. Außerdem war der Körper praktisch ausgeblutet worden.
Der zweite Grund, weshalb Delorme diese nostalgische Sehnsucht nach Schreibtischdelikten überkam, war der Umstand, dass sie heute Harlan »Haystack« Calhoun gegenübersaß und Harlan »Haystack« Calhoun ein Biker vom imaginären Scheitel bis zur Sohle war, ein Mann, der vermutlich noch nie einen Schreibtisch aus der Nähe gesehen, geschweige denn je an einem gesessen hatte. Er lungerte auf einem Plastikstuhl im Vernehmungszimmer herum, die Schlangenlederstiefel auf dem Tisch.
»Haben Sie keinen Anwalt, Mr. Calhoun?«
»Ich hab nix verbrochen, wieso brauch ich also einen Anwalt?«
»Falls Sie die Rechtsberatungsstelle anrufen wollen, können wir die Sache aufschieben, bis Sie Zeit hatten, sich mit einem Rechtsbeistand zu beraten.«
»Stellen Sie Ihre Fragen, und bringen wir’s hinter uns.«
Delorme deutete auf die Videokamera in einer oberen Zimmerecke und die andere an einer der Wände. »Wir zeichnen diese Unterhaltung auf, und obwohl Sie im Moment nicht unter Anklage stehen, muss ich Sie darauf hinweisen, dass alles, was Sie sagen, gegen Sie verwendet werden und zu einem späteren Zeitpunkt Gegenstand einer Anklage sein kann.«
»Was soll’s.«
Der Plastikstuhl kreischte auf, als Calhoun sein Gewichtverlagerte. Er beugte sich vor und stützte das Kinn auf die beiden Fäuste.
»Wann haben Sie Walter alias Wombat Guthrie das letzte Mal lebendig gesehen?«
»Vor drei Wochen. Nächste Frage.«
»Unter welchen Umständen?«
»Unter dem Umstand, dass ich ihn das letzte Mal gesehen habe.«
»Wo waren Sie da?«
»Im Clubhaus.«
»In dem Clubhaus Nähe Highway 11, in dem ich Sie neulich gesehen habe?«
»Was glauben Sie, wie viele Clubhäuser wir haben?«
»Beantworten Sie bitte nur die Frage.«
»Ja, in dem, wo Sie mich neulich zu Gesicht gekriegt haben. Nächste Frage.«
»An welchem Tag genau? Lassen Sie sich Zeit.«
»Am Dienstag, dem 12. Mai, um drei Uhr nachmittags. Ist Ihnen das genau genug?«
»Was haben Sie beide da gemacht?«
»Diese kleine Bikerbraut bespritzt.«
»Bespritzt?«
»Einer oben, einer unten. Wenn Sie wollen, können wir das mal demonstrieren.«
»Wie heißt das Mädchen?«
»Ginger Ale.«
»Und mit richtigem Namen?«
»So stand das auf ihrem Ausweis. Hat ihn mit sich rumgeschleppt, um zu
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