Kalter Schlaf - Roman
seiner Kindheit eine erwachsene Person gegeben haben muss, die irgendwie verwirrend für ihn war – bestimmt sehr beeindruckend, sogar beängstigend.«
»Ich dachte, du hättest den Journalisten erklärt, er sei nicht missbraucht worden.«
»Nicht unbedingt auf die Weise, an die man dabei meistens denkt, Bernie – körperlich, sexuell –, obwohl ich das nicht kategorisch ausschließen kann.«
»’türlich nicht«, sagte Bernie unüberhörbar sarkastisch.
»Hier geht’s mehr darum, dass er das Verhalten oder Auftreten eines wichtigen Erwachsenen als geheimnisvoll und verwirrend empfunden hat«, fuhr Kate fort. »Wie er seine Opfer zu manipulieren und zu behandeln scheint, deutet für mich darauf hin, dass er eine Diskrepanz zwischen ihrem Auftreten und dem sieht, was sie seiner Überzeugung nach sind. Ich vermute, dass er in seiner Kindheit verhaltensgestört war. Wenn er jetzt eine gut bezahlte Führungsposition bekleidet, hat er sie seit seiner Jugendzeit durch Fleiß, Ehrgeiz und beachtliche Anpassungsbereitschaft errungen.«
Was hatte Celia über ihn gesagt? Er ist ein Student, ein älterer Student. Vor ungefähr zwölf Jahren.
Kate betrachtete ihre Kollegen und versuchte festzustellen, wie sie ihre Informationen aufnahmen. Sie wusste, dass vor allem Bernie sich fragte, wie es von hier aus weitergehen sollte.
»Ich bin zuversichtlich, dass meine Beschreibung richtig ist, weil sie auf dem basiert, was wir über sein Verhalten wissen.« Sie verließ ihren Platz an der Glastafel und setzte sich wieder an den Tisch. »Ich halte es auch für nützlich, wenn wir uns Gedanken über sein mögliches Verhalten als Kind machen.«
»Wozu?« Diese Frage kam von Bernie.
»Haben wir erst mal einen Tatverdächtigen, können wir bei seiner Vernehmung dieses Thema anschneiden. Da er verdächtigt wird, als Erwachsener schwere Verbrechen verübt zu haben, dürfte es ihm leichter fallen, darüber zu sprechen, was er vor vielen Jahren gemacht hat. Jedenfalls ist das weniger bedrohlich – vor allem, wenn die Fragen von dir, nicht von mir kommen«, fügte sie hinzu. »Wir können auch seine Krankenakten, seine Schulakten anfordern, falls es welche gibt, um zuverlässige Informationen über seine jungen Jahre zu erhalten.«
»Welche kindlichen Verhaltensmuster wären denn zu erwarten?«, fragte Julian.
»Schulschwänzen, Ladendiebstahl, Lügen, Disziplinlosigkeit, Bettnässen, Zündeln.«
»Wegen solcher Delikte könnten wir die halbe Bevölkerung festnehmen!«
»Nein, Bernie, für uns bedeutsam wäre die Zahl solcher Vorfälle und ihre Schwere sowie Hinweise auf die von mir skizzierten Charakterzüge. Es geht um alle diese Dinge, die in einer einzigen Person vereinigt sind.« Kate schüttelte leicht den Kopf. »Wir sind nicht gerade mit Hinweisen überschüttet worden.« Ihr fiel etwas ein. »Hat unser Appell der Presse etwas gebracht?«
»Darauf hat der Chief Whittacker und einen Kollegen von oben angesetzt. Die beiden sichten, was eingeht, und benachrichtigen uns, sobald irgendwas handfest aussieht. Oder auch nur hoffnungsvoll.«
Kate nickte. »Der einzige potenzielle Augenzeuge von Janines Entführung, der Nachbar, ist tot. In den Vergewaltigungsfällen gibt es keine Zeugen – eigentlich fast überhaupt nichts. Echt frustrierend! Solange es keine neuen Hinweise gibt, sollten wir uns vielleicht noch intensiver mit den Männern befassen, die bereits auf unserer Liste stehen, ohne wirkliche Verdächtige zu sein.«
Bernie rieb sich das Kinn. »Der nächste Schritt besteht also darin, einen Verdächtigen zu finden, dem eine – wenn auch noch so flüchtige – Verbindung zu allen diesen jungen Frauen nachzuweisen ist?«
Kate warf einen Blick in ihre Notizen. »Für mich steht fest, dass Suzie Luckman von ihrem früheren Vergewaltiger verfolgt und ermordet worden ist, der irgendwoher wusste, wann sie aus London zu Besuch in Birmingham sein würde. Janine Walkers Tagebucheinträge lassen auf gewisse Nachstellungen schließen, auch wenn sie sich anscheinend nicht verfolgt gefühlt hat. Bei Janine, in gewissem Umfang auch bei Molly, ist er aus dem Schatten herausgetreten und hat sie seine Gegenwart spüren lassen. Dieses Verhalten war ungewöhnlich, aber für uns nützlich: Es beweist uns, dass er äußerlich akzeptabel, vielleicht sogar attraktiv, aber natürlich älter als die beiden ist. Wir müssen versuchen, sein Bild um zusätzliche Eigenschaften zu erweitern, die dann leicht zu verifizieren wären, sobald wir ihn
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