Kalter Süden
fragte sie leise. »Schreibt Suzette so?«
Polly nippte an ihrem grünen Tee und nickte.
»Sie schreibt immer ›Grussundkuss‹ und ›suz‹ mit kleinem s.«
»Kennst du die Leute, die sie da erwähnt? Fatima, Amira und Adde?«
Ein Schatten fiel über Pollys Gesicht, vielleicht bildete Annika sich das aber auch nur ein.
»Amira ist Suzettes beste Freundin. Sagt sie wenigstens. Als ob wir hier zu Hause nicht zählen würden. Ich glaube, Fatima ist Amiras Mutter. Und Adde ist Suz’ Freund, oder na ja, also, sie waren eigentlich nicht zusammen, Suzette war nur total verknallt in ihn. Adde hat an jedem Finger eine …«
»Wer ist diese Amira?«, fragte Annika. »Wieso ist sie Suzettes beste Freundin?«
»Ihre Ferienfreundin. Als sie klein war, ist Suz in den Ferien immer auf ihrer Farm gewesen. Sie sind gleich alt.«
»Wo? In Spanien?«
Polly schüttelte den Kopf.
»In Marokko.«
»Marokko? In Afrika?«
»Sie haben da eine Farm.«
»Weißt du, wo die liegt? Oder dieser Ort, den sie erwähnt, Asilah?«
Polly zuckte die Achseln und schob die Teetasse beiseite.
»Aber wie unterhalten sie sich denn?«, wollte Annika wissen. »In Marokko wird Französisch und Arabisch gesprochen, und Suzette konnte doch kaum Englisch.«
Jetzt sah Polly sie verwundert an.
»Natürlich kann Suz Englisch.«
»Spricht sie Englisch mit Amira?«
Polly schüttelte erneut den Kopf und drehte den Laptop wieder zu sich.
»Schwedisch.«
»Warte mal«, sagte Annika. »Kannst du die Mail an meine Adresse weiterleiten?«
Polly zögerte und warf einen Blick auf ihre Uhr.
»Nein«, sagte sie dann. »Ich hatte versprochen, Bescheid zu sagen, wenn sie sich meldet. Mehr nicht. Ich muss jetzt los.«
»Wieso sprechen sie Schwedisch miteinander?«
»Amira ist Halbschwedin. Ihr Papa ist aus Schweden. Sie heißt Lindholm mit Nachnamen.«
Die Geräusche rundum verstummten, der Krach der Musik und der Kaffeemaschine, das Klirren des Geschirrs.
»Lindholm?«, fragte Annika. »Ihr Vater heißt Lindholm mit Nachnamen? Weißt du auch seinen Vornamen?«
Polly packte ihren Laptop in den Rucksack und zuckte mit den Achseln.
»Keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass er auf der Farm lebt.«
»Könnte es sein, dass er David heißt? Weißt du, ob er Polizist war?«
Das Mädchen setzte den Rucksack auf.
»Kann ich Sie um einen Gefallen bitten?«, fragte sie.
»Natürlich«, sagte Annika.
»Verraten Sie niemandem was hiervon. Versprechen Sie mir das.«
Annika betrachtete die ernsthafte junge Frau mit den blonden Haaren. Sie wirkte ganz anders als das stark geschminkte schwarzhaarige Mädchen auf dem Facebook-Profilbild.
Dann nickte sie.
»Ich sage nichts«, beteuerte sie. »Und ich schreibe auch nichts. Das verspreche ich.«
Polly streckte die rechte Hand aus, Annika ergriff sie, und dann verschwand das Mädchen aus der Tür.
Annika ließ ihr zwei Minuten Vorsprung, dann ging sie ebenfalls.
Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sie den Krach des Höllencafés hinter sich zurück.
Suzette lebte. Irgendwo auf einer Farm in einem marokkanischen Dorf, wo ein Mädchen im selben Alter wohnte, das Lindholm mit Nachnamen hieß.
Sie blieb mitten auf der Straße stehen, suchte nach ihrem Handy, rief die Auslandsauskunft an und bat, mit der schwedischen Botschaft in Rabat, Marokko, verbunden zu werden.
Nachdem es eine Ewigkeit geläutet hatte, schaltete sich ein Anrufbeantworter ein. Es folgte eine lange Ansage auf Französisch, die hauptsächlich die Öffnungszeiten der Visa-Abteilung und die Telefonsprechzeiten für sonstige Gesuche bekanntgab. Annika hatte Schwierigkeiten, alles zu verstehen. Ihr Französisch war fast ebenso schlecht wie ihr Spanisch, aber sie begriff, dass an diesem Tag nichts mehr zu holen war. Sie würde morgen wieder anrufen müssen.
Sie sah hinüber nach Kungsholmen. Sie sollte in die Redaktion fahren und in ihrem Bericht schreiben, dass Filip Andersson nichts sagen wollte.
Menschen eilten an ihr vorüber, stießen sie an, blieben an ihrer Tasche hängen und traten ihr auf die Füße. Schnell, schnell, schnell zum Mittagessen, zur Reinigung, zur Konferenz. Busse quietschten, und Autos pflügten durch die Pfützen, dass es spritzte.
Sie schaute hinunter zur Hamngatan. Es würde ja doch nicht länger als dreißig Sekunden dauern, über diese völlig sinnlose Pressekonferenz zu schreiben, sagte sich Annika.
Sie hob ihr Handy und wählte Julia Lindholms Nummer in der Bondegatan.
Alexander und Julia waren zu Hause. Und
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