Kalter Tee und heiße Kuesse
können, was ja irgendwie nicht so schlimm war, denn einer von ihnen war jetzt ja tot.
„ER IST IN EINE HALB VOLLE DICKIE-DICK-FUTTERDOSE GEFALLEN UND ERSTICKT! AUCH NOCH IN EINE, WO HERZ DRIN WAR! IST DAS NICHT GRAUSAM? ER IST IN HERZ ERSTICKT, UND SEIN KLEINES HERZ, DAS SCHLÄGT JETZT NICHT MEHR! NIE WIEDER! ICH WERDE HEUTE NOCH ZUM ANWALT GEHEN! ICH WERDE IHRE AGENTUR FERTIGMACHEN! SIE WERDEN MIR EINEN MEHRSTELLIGEN MILLIONENBETRAG ZAHLEN MÜSSEN! ICH … Hallo? Hallo?“
Magnus hatte einfach aufgelegt. Er konnte nicht mehr. Er verschränkte die Arme auf der Schreibtischunterlage und ließ seinen Kopf darauf sinken. Atmen, befahl er sich. Ein- und ausatmen. Ganz ruhig. Wie sollte er das Johanna erklären? Die war schon auf dem Weg nach Kiel. Was, wenn diese hysterische Kuh es ernst meinte und die Agentur verklagen würde? Oh nein. Es war seine Idee gewesen mit dieser blöden Kampagne. Seine Idee. Er würde ins Gefängnis wandern. Auch gut. Am besten gleich. Dann hätte er wenigstens seine Ruhe. In diesem Moment klingelte wieder das Telefon. Es war Kai mit dem Gipsbein, der mit dem Berner Sennenhund. Wenn der Berner Sennenhund jetzt auch noch tot war, würde Magnus sich erschießen. Doch Kai hatte ein ganz anderes Anliegen.
„Äh …“, meinte er, und Magnus konnte förmlich riechen, dass er rot wurde.
„Also, es handelt sich um Folgendes … es handelt sich um den netten Mann mit dem Fotoapparat, also um … den Fotografen. Ich … ich wollte Sie fragen, ob ich seine Telefonnummer wohl haben könnte. Es ist nämlich … äh, es ist nämlich so … dass ich … also …“ Kai hörte hilflos auf zu sprechen.
Magnus schüttelte den Kopf.
„Sagen Sie es doch so, wie es ist. Sie sind schwul und wollen sich gern mit Fabrizio verabreden. Stimmt’s?“ Selbst wenn er sich irrte, was machte das schon noch aus? Dann sollte dieser Kai ihn eben wegen Verleumdung verklagen.
„Oh … oh“, machte Kai. Er klang erleichtert. „Ja, wenn Sie so direkt sind, dann …“
„Die Nummer darf ich leider nicht rausgeben. Aber …“, Magnus überlegte kurz. Wenigstens hätte er jetzt einen triftigen Grund, Fabrizio zu einem Rückruf zu überreden. Er würde ihm einfach auf die Mailbox sprechen, dass es eine wichtige geschäftliche Frage gäbe und er, Fabrizio, sich umgehend melden müsse. Und dann würde er vorsichtig anfragen, was denn mit Lena wäre.
„… ich versuche, ihn zu erreichen, und dann meldet er sich entweder direkt bei Ihnen, oder ich rufe Sie an und gebe Ihnen seine Nummer – falls er einverstanden ist. Okay?“
Kai bedankte sich tausend Mal, und Magnus suchte Fabrizios Nummer heraus. Doch als er ihn anrufen wollte, klingelte schon wieder das Telefon.
„Was hältst du hiervon?“ Fabrizio drehte sich vor Lena und sah sie beifallheischend an. Sie befanden sich in einer edlen Boutique, und Fabrizio war völlig in seinem Element. Das Ensemble, das er gerade trug, bestand aus lindgrüner Seide, hatte Spaghettiträger und war bodenlang. Es gab zwei Probleme. Problem eins war die Tatsache, dass Fabrizio in seiner Freizeit Fußball spielte und einen entsprechend breiten Rücken und dazu noch kräftige, behaarte Arme hatte. Außerdem war da noch die Glatze. Problem zwei war die Tatsache, dass die beiden Verkäuferinnen sich ununterbrochen komische Blicke zuwarfen, weil es ganz offensichtlich in St. Goarshausen nicht jeden Tag vorkam, dass ein Mann mit Glatze edle Abendkleider anprobierte.
Trotz aller schlechten Laune: Lena begann die Aktion Spaß zu machen. Jede Frau ging gern einkaufen, und warum sollte sie es Fabrizio nicht gönnen, sich für einen Maskenball zu verkleiden?
„Ich fand das blaue Kleid besser“, meinte sie. „Das mit der Federboa.“
„Ja, das ist irgendwie weiblicher.“ Fabrizio nickte, verschwand wieder in der Umkleidekabine, und Lena lächelte die beiden Verkäuferinnen freundlich an. „Wir gehen auf einen Maskenball“, erklärte sie.
„Aha“, sagte die linke, eine spindeldürre Zicke Mitte dreißig, die ein maßgeschneidertes lila Kostüm trug und selbstverständlich farblich passende Pumps dazu.
„Auf Burg Rheinfels“, erklärte Lena weiter.
„So, so. Auf Burg Rheinfels“, sagte die rechte, etwas drallere Frau mit Dutt und Perlenkette.
„Ja, wir haben ein Plakat gesehen und spontan entschlossen, da heute Abend hinzugehen.“ Lena nickte.
„Ah ja. Spontan entschlossen“, antworteten beide im Chor.
Fabrizio tauchte wieder auf und trug erneut das blaue Kleid. Es
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