Kalter Tod
stieg in sein Auto und fuhr vom Parkplatz des Krankenhauses. Bevor er den Freeway erreichte, besuchte er eine Tankstelle in der San Fernando Road, um zu tanken.
In Richtung Downtown herrschte wenig Verkehr, und er fuhr konstante achtzig. Er machte die Anlage an und nahm eine CD aus der Mittelkonsole, ohne zu schauen, welche es war. Nach fünf Tönen der ersten Nummer wusste er, es war ein Japan-Import des Bassisten Ron Carter. Genau das Richtige zum Fahren. Er drehte die Musik lauter.
Die Musik half Bosch, seine Gedanken zu ordnen. Er merkte, dass es bei dem Fall zu Verschiebungen kam. Zumindest das FBI war jetzt vor allem hinter dem verschwundenen Caesium her und nicht mehr hinter den Mördern. Das war ein kleiner Unterschied, den Bosch jedoch für wichtig hielt. Er wusste, er musste sich auf den Aussichtspunkt konzentrieren und durfte keine Sekunde aus den Augen verlieren, dass es sich hier um Ermittlungen in einem Mordfall handelte.
»Finde die Mörder, dann findest du auch das Caesium«, sagte er laut.
Downtown nahm er die Los-Angeles-Street-Ausfahrt und fuhr auf den Parkplatz vor dem Polizeipräsidium. Es war spät, und niemand würde Anstoß daran nehmen, dass er kein VIP oder kein hohes Tier war.
Das Parker Center stand kurz vor seinem endgültigen Abriss. Die Genehmigung für den Bau eines neuen Polizeipräsidiums war schon fast zehn Jahre durch, aber infolge ständiger politischer und budgetbedingter Verzögerungen zog sich die Realisierung des Projekts hin.
Gleichzeitig war in der Zwischenzeit wenig getan worden, um das gegenwärtige Präsidium am Abrutschen in die Verwahrlosung zu hindern. Das neue Gebäude befand sich zwar schon im Bau, stand aber noch schätzungsweise vier Jahre vor seiner Vollendung. Viele, die im Parker Center arbeiteten, fragten sich, ob es noch so lange durchhielt.
Der Bereitschaftsraum der RHD im zweiten Stock war leer, als ihn Bosch betrat. Er klappte sein Handy auf und rief seinen Partner an.
»Wo sind Sie gerade?«
»Hey, Harry. Ich bin gerade bei der Spurensicherung. Ich beschaffe mir alles, was ich kriegen kann, damit ich schon mal damit anfangen kann, das Mordbuch zusammenzustellen. Sind Sie im Büro?«
»Gerade angekommen. Wo haben Sie den Zeugen untergebracht?«
»Er ist in Zimmer zwei am Schmoren. Möchten Sie schon mit ihm anfangen?«
»Wäre vielleicht nicht schlecht, wenn ihn sich jemand vorknöpft, den er zum ersten Mal sieht. Jemand Älteres.«
Die Sache war ein wenig prekär. Der potenzielle Zeuge war von Ferras entdeckt worden. Deshalb wollte ihn sich Bosch auf keinen Fall ohne das stillschweigende Einverständnis seines Partners vornehmen. Die Umstände legten allerdings nahe, eine so wichtige Vernehmung lieber jemanden mit Boschs Erfahrung durchführen zu lassen.
»Knöpfen Sie ihn sich ruhig schon mal vor, Harry. Ich sehe Ihnen vom Medienraum aus zu, wenn ich hier fertig bin. Wenn Sie möchten, dass ich dazustoße, geben Sie mir einfach ein Zeichen.«
»Gut.«
»Ich habe im Büro des Captains frischen Kaffee gemacht, wenn Sie welchen wollen.«
»Gut, den kann ich jetzt gut gebrauchen. Aber erzählen Sie mir erst von dem Zeugen.«
»Er heißt Jesse Mitford und kommt aus Halifax. Einer von diesen jungen Herumtreibern. Er hat mir erzählt, er ist von Kanada hier runtergetrampt. Er schläft in Asylen und manchmal – wenn es wärmer ist – auch im Freien, meistens irgendwo oben in den Hügeln. Das ist eigentlich schon ziemlich alles.«
Nicht gerade viel, aber immerhin etwas.
»Vielleicht wollte er dort oben in Madonnas Garten nur schlafen. Vielleicht ist er deswegen nicht abgehauen.«
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht, Harry. Da könnten Sie recht haben.«
»Ich werde ihn das auf jeden Fall fragen.«
Bosch beendete das Gespräch, nahm seinen Kaffeebecher aus seiner Schreibtischschublade und ging ins Büro des RHD-Captain. Im Vorzimmer standen der Schreibtisch der Sekretärin und ein Tisch mit einer Kaffeemaschine. Bosch schlug der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee entgegen, und das allein verhalf ihm schon fast zu dem Koffein-Kick, den er brauchte. Er schenkte sich seinen Becher voll, warf einen Dollar in den Korb und kehrte an seinen Schreibtisch zurück.
Die Schreibtische im Bereitschaftsraum waren in langen Reihen von jeweils zwei frontal aneinandergeschobenen Tischen aufgestellt, sodass die zwei Partner eines Teams einander gegenübersaßen. Diese Anordnung ließ keine persönliche oder dienstliche Privatsphäre zu. In den
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