Kalter Tod
allein aufgesucht.«
Ihre Augen sprühten Funken, als ihr die Implikation des Gesagten klar wurde.
»Das ist doch absurd. Vollkommen ausgeschlossen. Ich verstehe nicht, wie du so etwas auch nur …«
Sie sprach nicht zu Ende, denn ihre Gedanken blieben an etwas hängen, an einer Erinnerung, die ihr Vertrauen und ihre Loyalität ihrem Partner gegenüber unterminierte. Bosch merkte, was in ihr vorging, und setzte unerbittlich nach.
»Ja, was?«, fragte er.
»Nichts.«
»Was?«
»Hör mir zu«, sagte sie schließlich mit Nachdruck. »Ich würde dir dringend raten, niemandem von deiner Theorie zu erzählen. Du kannst von Glück reden, dass du sie zuerst mir erzählt hast. Man könnte nämlich sonst den Eindruck gewinnen, dass du irgendein Irrer bist, der es jemandem heimzahlen will. Du hast keinerlei Beweise, kein Motiv, keine belastenden Äußerungen, nichts. Du hast nur diese Schnapsidee, die du dir aus … aus einem Yogaposter zusammengesponnen hast.«
»Es gibt keine andere Erklärung, die sich mit den Fakten deckt. Und damit meine ich die Fakten des Falls. Nicht den Fakt, dass das FBI und der Heimatschutz und die anderen Bundesbehörden hier gern einen terroristischen Hintergrund sähen, um ihre Existenz rechtfertigen und die wegen anderer Fehlschläge auf sie einhagelnde Kritik abschmettern zu können. Im Gegensatz zu dem, was du dir gern einreden würdest, gibt es Beweise, und es gibt belastende Äußerungen. Wenn wir Alicia Kent an einen Lügendetektor hängen, werdet ihr sehen, dass alles, was sie mir, dir und eurem grandiosen Verhörspezialisten erzählt hat, gelogen ist. Sie hat uns alle an der Nase herumgeführt.«
Walling beugte sich vor und senkte den Blick zu Boden.
»Danke, Harry. Dieser Verhörspezialist, über den du dich ständig lustig machst, bin zufällig ich.«
Bosch stand kurz mit offenem Mund da, bevor er antwortete.
»Oh … Ähm … das tut mir leid … aber es spielt keine Rolle. Tatsache ist, dass sie eine raffinierte Lügnerin ist. Sie hat in allen Punkten gelogen, aber jetzt, wo wir wissen, wie es wirklich war, wird es ganz einfach, sie zu überführen.«
Walling stand von ihrem Sessel auf und ging zum Panoramafenster. Die senkrechten Jalousien waren zu, aber sie teilte sie mit einem Finger und blickte auf die Straße hinaus. Bosch konnte sehen, wie sie die ganze Geschichte noch einmal durchging und Stück für Stück auseinandernahm.
»Und was ist mit dem Zeugen?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen. »Er hat den Schützen Allah rufen gehört. Willst du etwa behaupten, er war auch daran beteiligt? Oder meinst du, sie wussten ganz zufällig, dass er da war, und brüllten Allah, um es noch glaubhafter zu machen?«
Bosch versuchte vorsichtig, sich zu räuspern. Seine Kehle brannte, und das Sprechen fiel ihm schwer.
»Nein, was das angeht, haben wir es nur mit einem typischen Fall von ›Man hört, was man hören will‹ zu tun. Ich muss gestehen, ich bin selbst kein so großer Verhörspezialist. Der Junge hat mir erzählt, er hätte den Schützen etwas rufen gehört, als er abdrückte. Er sagte, er sei nicht sicher, aber es hätte sich wie Allah angehört, und das passte natürlich hervorragend zu dem, was ich zu diesem Zeitpunkt dachte. Ich habe gehört, was ich hören wollte.«
Walling entfernte sich vom Fenster, setzte sich wieder und verschränkte die Arme über der Brust. Bosch setzte sich in einen Sessel direkt ihr gegenüber. Er fuhr fort.
»Aber woher hätte der Zeuge überhaupt wissen sollen, ob es der Schütze war, der das geschrien hat, oder das Opfer? Er war mehr als fünfzig Meter entfernt. Es war dunkel. Woher soll er gewusst haben, dass es nicht Stanley Kent war, der vor seiner Hinrichtung sein letztes Wort hinausschrie? Den Namen der Frau, die er liebte, weil er starb, ohne zu wissen, dass sie ihn verraten hatte.«
»Alicia.«
»Genau. Alicia, von einem Schuss unterbrochen, wird zu Allah. «
Walling nahm die Arme wieder auseinander und beugte sich vor. In punkto Körpersprache war das ein gutes Zeichen. Es verriet Bosch, dass er zu ihr durchdrang.
»Du hast vorhin von den ersten Kabelbindern gesprochen?«, sagte sie. »Was hast du damit gemeint?«
Bosch nickte und reichte ihr den Ordner mit den Fotos vom Tatort. Das Beste hatte er sich für den Schluss aufgespart.
»Schau dir die Fotos an«, forderte er sie auf. »Fällt dir darauf etwas auf?«
Sie öffnete den Ordner und begann, sich die Tatortfotos anzusehen. Sie zeigten das Schlafzimmer der Kents aus
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