Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
war das erste Grün des beginnenden Frühlings zu erkennen, während der Schnee auf den Bergkuppen den Sommer überdauern würde. Eiríkur blickte aus dem Fenster in die andere Richtung und sah den blauen Schimmer des Meers in der Ferne.
»Du bist ein Stadtkind, nicht wahr?«, fragte Gunna.
»Ja, ich komme aus Seltjarnarnes.«
»Dann fühlst du dich auf dem Land bestimmt nicht richtig wohl, oder?«
»Ich fürchte, du hast recht. Meine Eltern kamen beide vom Land und zogen nach Reykjavík, als sie jung waren, aber sie haben nie davon geträumt, auf einen Bauernhof zurückzukehren.«
»Dann bist du also nicht mit Haggis und gekochtem Schafskopf aufgewachsen?«
»Meine Güte, nein! Mum und Dad liebten solche Sachen, aber sie haben nie darauf bestanden, dass wir Kinder sie auch aßen.«
»Ich verrate dir ein Geheimnis, junger Mann«, sagte Gunna und warf ihm einen Blick zu. »Ich habe diese Gerichte auch nie besonders gemocht. Aber erzähl das nicht Helgi. Er würde Haifisch und Rochen zum Frühstück essen, wenn Halla ihn ließe.«
»Ich verrate kein Sterbenswörtchen, Chefin«, versprach Eiríkur. »Was machen wir jetzt mit Ommi?«
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Gunna. »Ich wollte ihn eigentlich ein paar Tage schmoren lassen, aber er hatte ja immerhin einen Tag und eine Nacht Zeit, um nachzudenken. Wir probieren es noch einmal. Alles hängt davon ab, wie stark wir ihn verunsichern konnten, denke ich. Gestern war er schon nervös, und ich hoffe, dass er sich inzwischen ziemlich verrückt gemacht hat.«
Gunna zeigte ihren Dienstausweis vor und fuhr durch das Haupttor, um vor dem Gefängnisgebäude zu parken. Sie machte den Motor aus und lauschte, wie er vor sich hintickte.
»Wenn sich für dich bei der Befragung irgendetwas seltsam anhört, spiel einfach mit, okay?«
»Mach ich, Chefin.«
»Gut. Auf geht’s. Übrigens, mach dir keine Sorgen wegen Sævaldur. Irgendwann holen ihn seine Missetaten aus der Vergangenheit ein, du wirst schon sehen.«
***
Die Tür fiel ins Schloss, und derselbe Wachposten wie bei ihrem letzten Besuch nahm seinen Platz ein und starrte über sie hinweg. Eiríkur stand neben ihm und registrierte sofort, dass Ommi mitgenommen und gereizt wirkte.
»Hallo, Ommi. Wie geht es dir?«, sagte Gunna zur Begrüßung heiter. »Hast du gut geschlafen?«
»Ja. Wie ein Baby«, spottete Ommi. »Wer ist der Kleine?« Er deutete mit dem Kinn auf Eiríkur.
»Das ist Detective Constable Eiríkur Thór Jónsson, ein aufgehender Stern am Polizeihimmel. Ich dachte mir, der Bursche sollte dich mal genauer kennenlernen, als Referenz für später.«
»Schön. Warum bist du schon wieder hier? Du hast mich doch gestern erst besucht.«
»Hast du nachgedacht, Ommi?«
»Vielleicht.«
»Komm schon. Du hast doch kein Auge zugetan.«
Ommi scharrte mit den Füßen unter dem Tisch und rieb sich die Hände, als müsste er sich selbst Mut zusprechen. Es war nicht kalt im Befragungsraum, aber er zitterte.
»Vielleicht könnte ich mir einen Deal vorstellen«, murmelte er und blickte auf den Tisch zwischen ihnen.
Gunna richtete sich auf und beugte sich mit einem listigen Lächeln vor.
»Ommi, du hast gar nichts in der Hand, mit dem du einen Handel abschließen könntest«, sie sprach langsam und deutlich. Eiríkur musste sich Mühe geben, sie zu verstehen, weil sie so leise sprach. »Ich dagegen habe alles, was ich brauche, um dir den Mord an Svana anzuhängen und dich wegzusperren, bis du ein alter Mann bist. Wie alt bist du jetzt? Dreiunddreißig? Wie fändest du es, hier drin zu bleiben, bis du jenseits der fünfzig bist?«
Ommis Kiefermuskulatur arbeitete, seine Augen brannten, und die Farbe wich ihm aus dem Gesicht.
»Du hast schon zu viele Jahre hier verbracht«, fuhr Gunna fort und beobachtete Ommi, während sie darauf wartete, dass er den Blick hob. Sie fragte sich, wie viel Druck sie noch ausüben musste, bis sein Temperament mit ihm durchgehen würde. »Wenn du nicht mehr hier sein willst, wenn dir die Haare ausfallen, musst du allmählich damit anfangen, mir ein paar Geheimnisse zu verraten, Ommi. Die Leute, die du beschützen willst, scheren sich einen Dreck um dich.«
Ommi setzte sich gerade hin. Gunna richtete sich auch auf, blickte ihm in die Augen und wartete darauf, dass er zwinkern würde.
»Ich weiß bereits, wie es abgelaufen ist. Du musst nur noch die Lücken füllen«, erklärte sie.
»Ich rede nur unter vier Augen mit dir«, brachte er hervor, dann zwinkerte er und deutete mit
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