Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
würde.
»Nein. Er ist nur ein paar Tage hier gewesen.«
»Hör mal, Elín, ich will dich nicht erschrecken, aber es könnte sein, dass du in Gefahr bist. Ich würde sehr gerne mit dir reden, aber ich halte ein persönliches Treffen für besser. Kannst du mir sagen, wo du wohnst? Ich könnte gleich bei dir sein«, sagte Gunna und gab sich Mühe, Ruhe auszustrahlen.
Die Verbindung wurde unterbrochen.
»Verdammt …«
»Chefin?«, sagte Helgi. »Ich habe gerade mit der Ehefrau unseres Mannes gesprochen, eine nette Frau, die sich verständlicherweise Sorgen um ihn macht. Sie sagt, es dauert eine Weile, ihn auf die Palme zu bringen, aber wenn er einmal sauer ist, hat er ein hitziges Temperament.«
»Hast du etwas erfahren, was Licht ins Dunkel bringen könnte?«
»Der Mann ist Klempner und hatte eine eigene Firma. Aber er hat jede Menge Geld verloren, als ein großer Kunde Pleite gemacht hat. Um es kurz zu machen, sie haben das Haus, den Jeep und alles andere verloren, und die Bank ist immer noch hinter ihnen her, obwohl sie nichts mehr haben.«
»Dieser Typ von der Bank, mit dem ich gesprochen habe, hat mir nichts davon gesagt«, sagte Gunna zornig.
»Naja, wahrscheinlich wollen sie nicht, dass die ganze Welt erfährt, was sie für habgierige Mistkerle sind«, bemerkte Helgi. »Jedenfalls haben Jón und Linda sich etwa zu der Zeit getrennt, als das Haus zwangsenteignet wurde. Sie nahm das Kind und zog zu ihrer Mutter. Sie wohnt in Hella. Seitdem hat sie nicht mehr viel von ihrem Mann gehört. Sie vermutet, dass er bei seinem Halbbruder Unterschlupf gefunden hat, aber sie weiß nicht, wo der Mann lebt. Er ist Lehrer und heißt Samúel Ólafsson.«
»Eiríkur!«, rief Gunna.
»Ja, Chefin?«
»Ich habe eine Aufgabe für dich. Kannst du einen Lehrer namens Samúel Ólafsson ausfindig machen? Ich habe keine Ahnung, an welcher Schule er unterrichtet, aber du schaffst das schon. Er ist der Bruder unseres Mannes, offensichtlich hat er bei ihm gewohnt.« Gunna wandte sich wieder an Helgi. »Ich würde gerne wissen, wer diese Elín Harpa ist und warum sie an sein Handy geht.«
Helgi zog eine Augenbraue hoch. »Keine Ahnung …«
»Kannst du Laxdal und Steingrímur informieren und sie vorwarnen, dass unser Mann in Kópavogur sein könnte, entweder in der Bank an der Ecke Hamraborg Straße oder irgendwo in der Nähe?«
Sie zog das Telefon zu sich heran, wählte Hrannar Antonssons Nummer und wartete.
»Hallo, Apparat von Hrannar«, wurde sie von einer fröhlichen Stimme begrüßt.
»Guten Morgen, hier spricht Gunnhildur Gísladóttir von der Kriminalpolizei, Dezernat für Gewaltverbrechen«, meldete sich Gunnar zum zehnten Mal an diesem Morgen. »Ich möchte mit Hrannar Antonsson sprechen, es ist sehr wichtig.«
***
Sein Magen knurrte. Er hatte sich in seine Jacke gewickelt und die Hände tief in die Taschen geschoben, damit er durch das Futter hindurch die Schrotflinte festhalten konnte. Er sah sich zum wiederholten Mal um und beobachtete die Uhr. Inzwischen war es schon nach zehn, und er fragte sich, wo der verdammte Kerl blieb.
Die Spannung, die sich im Laufe des Morgens in ihm aufgebaut hatte, war in dem Moment verpufft, als er die Tür zur Bank geöffnet hatte. Ihm war ein bisschen schwindelig, aber ansonsten hatte er sich vollkommen unter Kontrolle. Er würde die Szene von oben betrachten. Er stellte sich vor, wie er auf sich selbst hinunterblickte, wie er in dem Sessel saß. Um ihn herum fand der normale Bankalltag statt, wie in einem Nebel bewegten sich die Menschen zwischen den Schaltern und den Schreibtischen. Allmählich wurden seine Füße taub. Er fragte sich, wann dieser blöde Kerl endlich auftauchen würde.
Schließlich entdeckte er das vertraute rosa Hemd. Es kam auf ihn zu.
»Guten Morgen. Es tut mir so leid, dass ich zu spät komme. Auf dem Vesturlandsvegur gab es einen Unfall, ich habe im Stau gestanden. Sollen wir anfangen?« Hrannar lächelte ihn an und deutete auf ein Besprechungszimmer.
Jón ergriff die ausgestreckte Hand und hielt sie einen Moment länger fest als nötig. Unbehagen flackerte im Blick des Jungen auf. Jón folgte Hrannar in den Besprechungsraum mit der Glasfront und setzte sich ihm gegenüber.
»Du hattest es in den letzten Wochen wirklich nicht leicht«, sagte Hrannar und gab etwas über die Tastatur seines Computers ein. »Ich rufe deine Daten auf, damit wir deine finanzielle Lage durchsprechen können.«
Jón brummte bloß. Es gab nichts zu sagen. Er brauchte keinen
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