Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
unangebracht, solange du ein wesentlicher Zeuge bist.«
»Dann vielleicht, wenn der Fall abgeschlossen ist?«
»Vielleicht. Noch mal vielen Dank.«
Gunna lief polternd die schmale Holztreppe hinunter. Draußen atmete sie erst einmal vor Erleichterung tief durch.
»Was für ein unverschämter, geiler Mistkerl«, murmelte sie vor sich hin. Als sie am Hotel Borg vorbeikam, spielte sie kurz mit dem Gedanken, dort die Toilettenräume aufzusuchen und sich die Hand zu waschen, die Hallur geschüttelt hatte.
Die Luft roch leicht abgestanden, und die Wohnung vermittelte nicht mehr das Gefühl, bewohnt zu sein. Jemand hatte den Küchenboden, auf dem Svana Geirs in einer allmählich größer werdenden Pfütze ihres eigenen Blutes gestorben war, sauber geschrubbt. Es wirkte, als wäre die Bewohnerin einfach ausgezogen. Gunna ging von der Küche ins Wohnzimmer und runzelte die Stirn, während sie sich fragte, wonach sie eigentlich suchte. Das Apartment war aufgeräumt, aber es war noch nichts ausgeräumt worden. Svana Geirs Habseligkeiten befanden sich noch an ihrem Platz. Eiríkur und das Team der Spurensicherung hatten lediglich ein paar Gegenstände mitgenommen, um sie auf Fingerabdrücke zu untersuchen oder im Labor zu überprüfen.
Im Schlafzimmer, das in Blau und Rosa gehalten war, hatte jemand die große Tagesdecke sorgfältig zusammengefaltet und auf eine Ecke der Matratze gelegt. Die Laken und die Bettdecke hatte die Kriminaltechnik mitgenommen, um sie genau zu untersuchen. Gunna öffnete eine Tür des Kleiderschrankes, der eine ganze Wand einnahm, und strich mit der Hand über die teuren Stoffe der Kleider und Jacken auf den Bügeln. Dabei fragte sie sich, wie viele davon auch tatsächlich getragen worden waren.
Sie nahm sich einen Bügel nach dem anderen vor und kontrollierte die Taschen aller Jacken und Mäntel, aber sie fand nichts. Am hinteren Ende der Reihe, hinter einigen farbenfrohen Sommerkleidern, die wohl kaum für den kurzen isländischen Sommer geeignet waren, und ein paar gewagten Nachthemden entdeckte sie zwei Kleiderbügel, die dort sorgfältig versteckt worden waren.
»Du liebe Zeit!«, murmelte sie, als sie einen Bügel hochhielt, auf dem ein sehr knappes Zimmermädchenkostüm hing, das hauptsächlich aus durchsichtiger Spitze bestand. Dahinter hing eine bizarre Version eines Krankenschwesternoutfits, die – wie sie angewidert erkannte – aus einer Art Kunststoff bestand.
Sie überlegte, ob sie die Sachen fürs Labor mitnehmen sollte, kam aber dann zu dem Schluss, dass die Bettwäsche und der Inhalt des Wäschekorbs wahrscheinlich alles preisgeben würden, was zu finden war.
Sie hängte die beiden Bügel wieder respektvoll in den Schrank zurück. Dabei war ihr schmerzlich bewusst, dass ihre Besitzerin erst seit wenigen Tagen tot war. Sie fragte sich, wer wohl der Glückliche gewesen war, der Svana Geirs umwerfende Figur in diesen bizarren, aufregenden Kleidern hatte bewundern dürfen. Sie betrachtete die zahlreichen Schuhe, die aufgereiht auf dem Schrankboden standen, schüttelte den Kopf und schloss dann den Schrank.
Auch in dieser Wohnung war es unerträglich ruhig. Vom Lärm des Straßenverkehrs war durch die dreifachverglasten Fenster nichts zu hören. Dadurch entstand das Gefühl, von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. Das Apartment glich einem Kokon, der nichts mit der Realität zu tun hatte. Sie setzte sich ans Kopfende des Bettes und sank in die weiche Matratze ein. Dann rief sie sich zur Ordnung und widerstand der Versuchung, auf und ab zu hüpfen. Die zwei Schubladen des Nachttisches auf der einen Seite waren leer, aber auf der anderen Seite fand sie die Fernbedienung für den Fernseher, verschiedene Sprays und Cremes und eine Partypackung mit Kondomen in den verschiedensten Farben und – wie sie vermutete – Geschmacksrichtungen. Banane bezog sich wohl kaum auf die Größe. In der unteren Schublade befanden sich Handschellen, ein kleiner Vibrator, der beim Einschalten wie eine Klapperschlange klang, und Packungen mit Tabletten von Paracetamol bis hin zu verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln. Aber nirgendwo fand sich ein Handy oder ein kleines schwarzes Buch. In der ganzen Wohnung war seltsamerweise kein Fetzen Papier, keine Zeitschrift und kein Buch zu sehen.
Plötzlich war sie hellwach und in höchster Alarmbereitschaft – im Flur ertönte ein unterdrücktes Stöhnen. Langsam drehte Gunna sich um und wartete, ob es sich wiederholen würde. So leise wie möglich bewegte
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