Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
sie sich in Richtung Schlafzimmertür. Sie fragte sich gerade, ob sie die Wohnungstür auch wirklich geschlossen hatte, als das Stöhnen wieder zu hören war, diesmal länger andauernd und in einem höheren Ton endend, der beinahe in ein Kreischen mündete.
Gunna blieb in der Tür stehen und lauschte. Jemand atmete stoßweise und heftig. Sie war sich inzwischen sicher, dass die Geräusche aus der Küche kamen, und bewegte sich vorsichtig dorthin. Suchend sah sie sich um. Die Atemgeräusche wurden zu einem Keuchen und verwandelten sich in leises Stöhnen, das lauter wurde und plötzlich aufhörte, als wäre es auf Knopfdruck ausgeschaltet worden. In der Wohnung herrschte wieder Stille.
Gunna stand mitten in der Küche und drehte sich langsam im Kreis. Sie grinste vor sich hin, griff in ihre Jackentasche, zog ihr Handy heraus und wählte eine Kurzwahlnummer.
»Helgi? Bist du im Büro? Hast du Svanas Handynummer greifbar? Ich möchte, dass du sie jetzt sofort anrufst, okay?«
Die Stille in der Küche wurde nur manchmal von einem ganz schwachen Summen des Kühlschranks durchbrochen. Gunna war sich ihrer eigenen Atemgeräusche unangenehm bewusst und hörte sogar das Rascheln ihrer immer noch ungewohnten Zivilkleidung. Als es begann, dachte sie anfangs, das harmlose Brummen käme aus dem Kühlschrank, ein leises, aber beharrliches Pulsieren. Gunna ging in die Hocke, weil sie merkte, dass das Geräusch vom Boden kam. Plötzlich hallte das Stöhnen ein zweites Mal durch die Küche. Es klang blechern. Sie lauschte mit halb geschlossenen Augen, und das Stöhnen ging weiter und wurde zu einem Kreischen, dass wohl Ekstase simulieren sollte.
Die Stimme begann wieder zu keuchen. Gunna legte sich flach auf den Boden, spähte unter den Kühlschrank und die Spülmaschine. Dort entdeckte sie schließlich ein Mobiltelefon, das blinkte und vor sich hinvibrierte, während die Stimme zum Höhepunkt kam.
»Ah. Da bist du ja«, sagte Gunna mit einem breiten Grinsen, während sie das Telefon mit einem Holzlöffel unter der Spülmaschine herausangelte. Es vibrierte immer noch und heulte vor Vergnügen, als sie es triumphierend in der Hand hielt. Plötzlich hörte das Blinken auf, das Display wurde dunkel, und das Gerät schaltete sich ab.
»Verdammt, der Akku muss leer sein«, murmelte sie und griff nach ihrem eigenen Handy. »Helgi? Was ist passiert?«, fragte sie.
»Ich habe es immer weiterklingeln lassen, bis es schließlich tot war«, antwortete Helgi. »Was war das für ein Schreien und Stöhnen?«
»Das war Svanas Klingelton. Ich komme gleich ins Büro.«
***
Ragna Gústa war nach zwei alten Damen benannt worden. Linda wollte das kleine Mädchen auf den Namen ihrer Mutter taufen lassen, und Jón wusste, dass seine eigene Mutter ein Leben lang beleidigt wäre, wenn das Kind nicht auch ihren Namen tragen würde. Jetzt fand er es irgendwie amüsant, dass seine Tochter mit den Namen Ragnhildur und Ágústa durchs Leben gehen würde. Die beiden älteren Damen konnten einander nicht ausstehen.
Jón erkannte den ernsten Ausdruck auf dem Gesicht seiner Tochter, während Ragna Gústa gewissenhaft die Schokoladenstückchen von ihrem Eis abknabberte, bevor sie den Rest verschlang – sie hatte ihn von ihrer Großmutter mütterlicherseits geerbt.
»Daddy?«
Jón fragte sich, ob dieser verflixte Mann wohl auch nur die leiseste Ahnung hatte, welches Chaos er im Leben von ganz normalen, hart arbeitenden Menschen angerichtet hatte. Er hatte monatelang darum gekämpft, die Lage in den Griff zu bekommen, aber schließlich musste er sich eingestehen, dass er den Schein nicht mehr länger wahren konnte. Der Jeep hatte als Erstes dran glauben müssen. Linda war es egal gewesen, denn sie hatte den Wagen ohnehin nicht gemocht. Aber was richtig wehgetan hatte, war die Tatsache, dass er obendrein wegen der vorzeitigen Kündigung des Kredits eine Gebühr in Höhe von mehr als einer Million Isländische Kronen zahlen musste.
»Daddy? Was ist das?«
Wenn er nur so klug gewesen wäre, einen Kredit in Kronen aufzunehmen, statt sich zu Yen und Schweizer Franken überreden zu lassen, wäre er von den in die Höhe schießenden Wechselkursen nicht betroffen gewesen, die seine Rückzahlungsraten verdoppelt hatten. Der junge Bursche, der den Geländewagen gekauft hatte, war noch ein Teenager, aber ein Teenager mit einer Arbeit auf einem Fischtrawler und den Taschen voll Geld. Der Bursche hatte einem guten Deal zugestimmt, nachdem er mit funkelnden Augen
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