Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
verpasst«, keuchte Helgi.
Steingrímur bewegte sich seitwärts in die dunkle Öffnung und zog seinen Schlagstock. Helgi hörte das unheilvolle Geräusch, mit dem er ihn aufschnappen ließ. Es zischte ein zweites Mal hinter der Tür, dann war ein Schlag zu hören. Jemand brüllte vor Schmerz auf. Helgi wartete nicht, er folgte Steingrímur sofort. Dabei dachte er kurz darüber nach, dass er nicht mehr umkehren könnte, wenn sich drei Männer hinter ihm befanden.
Er tastete nach dem Lichtschalter und schaltete das Licht ein. Ein dürrer Mann mit schulterlangen, fettigen Haaren saß auf dem Betonboden, hielt sich den Arm und wimmerte. Er trug nichts außer zerlumpter Unterwäsche. Eine Spraydose rollte über den Boden auf eine der Matratzen an der Wand zu, wo sich eine junge Frau schützend eine Hand über die verschlafenen Augen hielt und mit der anderen ihren Schlafsack höher zog. Verstört blinzelte sie in das helle Licht. Am anderen Ende der Garage hämmerte ein hoch aufgeschossener Typ gegen das Tor.
»Schon gut, Ommi. Spar dir die Mühe. Gib Ruhe.«
»Du Bastard!«, zischte Ommi.
»Wir nehmen dich wegen Ausbruchs aus dem Gefängnis fest. Du hast das Recht zu schweigen. Alles, was du sagst, kann vor Gericht gegen dich verwendet werden. Du hast das Recht auf einen Anwalt.« Steingrímur leierte die Rechtsbelehrung herunter, während er die Handschellen um Ómars Handgelenke zuschnappen ließ.
Die Polizisten halfen dem zweiten Mann auf die Beine. Er wimmerte immer noch vor Schmerz und hielt sich den Arm.
»Wir sollten einen Rettungswagen für diesen Burschen hier rufen«, beschloss Helgi.
Steingrímur bückte sich, hob das Pfefferspray auf und steckte es vorsichtig in einen Beweisbeutel.
»Der Angriff kann als Tätlichkeit gegenüber einem Polizeibeamten betrachtet werden, nicht wahr, Helgi?«, sagte er ruhig.
»Davon gehe ich aus. Du schickst deinen Kollegen besser auch ins Krankenhaus, er soll sich die Augen ausspülen lassen.«
Helgi sah sich in der kahlen Garage um. Drei nackte Glühbirnen an der Decke dienten als Beleuchtung.
»Du bist Selma, nicht wahr?«, fragte er das Mädchen, das gerade den Schlafsack heruntergleiten ließ.
»Na und?«
»Pack sie wieder ein, ja? Wir haben alle schon mal Titten gesehen, besonders so kleine wie die da. Ich glaube, wir beide sollten uns ein bisschen unterhalten.«
»Willst du mich etwa verhaften?«, fragte sie zickig.
»Noch nicht, aber vielleicht hast du Glück und landest noch in der Zelle«, erwiderte Helgi. »Da ist es bestimmt wesentlich komfortabler als in diesem Loch hier.«
***
Gunna freute sich, Bjössi wiederzusehen. Obwohl er sich nur zu oft wie ein absoluter Chauvinist aufführte – was ihn auch schon mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht hatte –, wusste Gunna aus Erfahrung, dass sich hinter dieser Fassade ein gewissenhafter und gründlicher Kriminalbeamter verbarg. Seit ihrem Wechsel ins Dezernat in Reykjavík hatte sie ihre Kollegen von dem winzigen Revier in Hvalvík und der Polizeistation in Keflavík, zu der Hvalvík gehörte, nur selten gesehen. Wäre sie nicht so beschäftigt gewesen, hätte sie sie vermisst.
Gunna und Bjössi hatten den Fall auf dem Weg ins Krankenhaus besprochen. Jetzt saßen sie an Skaris Bett, von wo aus der Patient sie mit unverhüllter Abneigung anstarrte.
»Was soll das? Warum gleich zwei von euch?«, sagte er undeutlich. Sein gebrochener Kiefer behinderte ihn beim Sprechen. »Was ist los?«
»Das Übliche, Skari. Es wird langsam Zeit, dass du uns erzählst, was wirklich passiert ist«, antwortete Bjössi ruhig.
Gunna fügte hinzu: »Der lange Ommi haut aus dem Gefängnis ab, und kurz darauf beziehst du Prügel. Das ist doch ein sehr merkwürdiger Zufall.«
Skari erwiderte finster ihre Blicke. »Ich hab keine Ahnung, wovon ihr redet.«
»Oh doch, das hast du, Skari«, sagte Bjössi. »Du weißt genau, was wir wollen. Der große Pole, den du erfunden hast und der dich angeblich verprügelt hat, war nicht aufzufinden. Und wir werden ihn auch nicht finden, weil es ihn gar nicht gibt. Wir gehen davon aus, dass Ommi dafür verantwortlich ist. Und wir würden gerne wissen, warum er es getan hat.«
»Haut ab! Findet diesen polnischen Mistkerl«, sagte Skari müde.
»Nein, Skari. Ich bin sicher, dass es diesen Polen nicht gibt«, entgegnete Bjössi. »Wir haben sämtliche Aufzeichnungen der Überwachungskameras angesehen, es war niemand dabei, auf den deine Beschreibung gepasst hätte. Aber der lange Ommi
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