Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
wieder jemanden aus den alten Zeiten zu sehen«, erwiderte der alte Mann, hob seine Angel auf und warf sie wieder aus. Langsam holte er den Haken wieder ein, aber er war mit den Gedanken woanders. Er hörte, wie Helgi den Wagen startete und losfuhr. Weiter draußen auf dem See kräuselte sich das Wasser um den Angelhaken, und er spürte einen Ruck.
»Ja! Schade, dass der Bursche das nicht mehr sehen kann«, sagte er triumphierend und holte die Schnur ein, bis sie auf einmal erschlaffte.
»Verdammt!«
Er holte den Rest der Schnur ein und legte die Angel ab. Dann zog er ein Handy aus der Jackentasche. Er wählte eine Nummer, die nicht im Telefonbuch abgespeichert war, und wartete, bis die Mailbox ansprang.
»Hallo, hier ist dein alter Freund. Hör zu. Sag deinem Jungen, dass Fragen gestellt werden, ja?«
9. KAPITEL
Freitag, der Neunzehnte
Es war später Vormittag, und Helgi führte die Vernehmung durch. Er saß entspannt hinter dem Schreibtisch, während der lange Ommi sich auf dem Stuhl ihm gegenüber herumlümmelte. Ommis Anwalt, ein Mann mittleren Alters mit dicken Brillengläsern und gelangweilter Ausstrahlung, saß neben seinem Mandanten und blätterte in seinen Unterlagen. Gunna hatte sich zur Abwechslung für ihre Uniform entschieden, weil sie dem Ganzen einen formelleren Anstrich geben wollte. Die Uniform bildete einen Kontrast zu Helgis ausgebeulter brauner Kleidung. Gunna saß hinter Helgi und betrachtete einen Teppich, der dort an der Wand hing. Der Vernehmungsraum wirkte viel luftiger und freundlicher, als man es sich gemeinhin vorstellte. Es gab bequeme Stühle und Gemälde an den Wänden.
Helgi drehte sich zu dem Computer neben ihm um und schob eine leere CD-ROM ins Laufwerk.
»Du kennst den Ablauf ja sicherlich, nicht wahr, Ommi?«
»Ja. Ich bin ja schon ein- oder zweimal hier gewesen.«
Helgi zeigte auf das Mikrofon, das über dem Tisch hing, und die Überwachungskamera in der Zimmerecke. »Du weißt, dass alles, was in diesem Raum geschieht, aufgezeichnet wird?«
»Ja, ich weiß.«
Ommi ließ sich noch tiefer in den Stuhl rutschen, streckte die Beine aus und schlug sie übereinander. Er verschränkte die Arme und stellte seine bunten Tattoos zur Schau, die unter den Hemdsärmeln hervorblitzten.
»Gut. Dann können wir anfangen. Anwesend sind der Tatverdächtige Ómar Magnússon und sein Rechtsbeistand Karl Einar Bjarnason sowie die Polizeibeamten Helgi Svavarsson und Gunnhildur Gísladóttir«, führte Helgi fürs Protokoll aus. »In Ordnung?«
Der Anwalt nickte, ohne von seinen Papieren aufzusehen.
»Also, Ommi, es ist eine ganze Weile her. Wie läuft’s denn so?«, fragte Helgi freundlich.
»Nicht schlecht, bis ich deine hässliche Visage gesehen habe«, antwortete Ommi.
»Du bist letzten Monat am Achtzehnten aus Kvíabryggja getürmt und hast einen neuen Rekord aufgestellt. So lange war noch niemand vor dir auf der Flucht. Wie wäre es, wenn du mir erzählen würdest, was du in der Zwischenzeit getrieben hast?«
Der Anwalt verdrehte die Augen, und Ommi warf den Kopf zurück.
»Ich bin untergetaucht und habe mich mit Selma amüsiert. Du weißt schon.«
»Und was ist mit dem Mann, der mit dir in der Garage war? In welcher Beziehung steht ihr zueinander?«
»Ich weiß nichts über ihn. Er war gerade erst aufgetaucht.«
Helgi lächelte. »Zufällig haben wir dich bereits einige Tage lang beobachtet. Wenn man bedenkt, dass ihr fast eine ganze Woche miteinander verbracht habt, musst du doch ein- oder zweimal mit ihm gesprochen haben.«
»Er ist bloß ein Kumpel«, konterte Ommi.
»Stell dich nicht dumm. Pillen-Addi steckt bis über beide Ohren in Ecstasy-Geschäften. Versuch nicht, mir weiszumachen, du hättest nichts davon gewusst.«
Ommi zuckte mit den Schultern. »Ich habe nur vermutet, dass er in krumme Geschäfte verwickelt ist. Ich hätte die Polizei verständigt, wenn ich es sicher gewusst hätte.«
»Was habt ihr zwei in Selfoss gemacht? Habt ihr einfach einen kleinen Ausflug aufs Land unternommen?«
»Selfoss? Da bin ich nie gewesen.«
»Wir haben eindeutige Beweise, dass du letzte Woche mit Addi dort warst. Was hattet ihr vor?«
»Tut mir leid, Kumpel. Ihr müsst euch geirrt haben.«
»Warum bist du aus Kvíabryggja abgehauen?«, fragte Helgi weiter. »Du hattest noch ein Jahr vor dir, und zwar im offenen Vollzug. Du konntest fast alles haben, was du wolltest. Komm schon, Ommi. Es muss einen guten Grund geben.«
Zum ersten Mal ließ Ommis Gesicht Verärgerung
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