Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
Gunna.
»Der Kerl kann mich mal! Ich habe genug von ihm«, sagte Sigrún mit erstickter Stimme. »Verdammte Männer, sie machen nichts als Ärger.«
Gunna setzte sich neben sie und betrachtete die aufgestapelten Hemden, Jeans, Jacken und Socken. »Was ist schiefgelaufen?«
»Dieser verflixte Jörundur. Er ist mit seinen ehemaligen Kollegen nach Norwegen gereist. Seit einer Woche ist er jetzt dort. Erst seit einer verdammten Scheißwoche. Heute Nachmittag hat er mir eine SMS geschickt, in der er mir mitteilt, dass er nicht mehr nach Hause kommt, dass er in Norwegen bleibe, und ich ihm seine Sachen schicken solle.«
»Er hat doch nicht wieder gesoffen, oder doch?«
»Wenn es nur das wäre«, schniefte Sigrún verzweifelt. »Dieser Mistkerl. Ich habe ein halbes Dutzend Mal versucht, ihn anzurufen, aber er geht nicht an sein Handy. Also habe ich aufgegeben und stattdessen seine Schwester angerufen. Ich habe sie gefragt, was zum Teufel da vor sich geht, und schließlich hat sie es mir gesagt. Jörundur hat eine Affäre mit einer Frau drüben in Keflavík, sie ist mit ihm nach Norwegen gegangen. Seine Schwester hat es mir verraten. Sie ist nicht die Hellste, ich habe nicht lange gebraucht, um die Wahrheit aus ihr herauszubekommen.«
»Sigrún, es tut mir so leid …«, fing Gunna an.
»Es muss dir nicht leid tun. Es ist gut, dass ich den Scheißkerl los bin.«
Mit rotgeweinten Augen saß sie auf dem Bettrand und betrachtete den Inhalt des Kleiderschranks. Dabei schaukelte sie vor und zurück.
»Weißt du, ich habe immer gewusst, dass das irgendwann passieren musste. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass er mich früher oder später im Stich lassen würde, dass er mich nicht mehr wollen und gehen würde. Warum habe ich weggeguckt? Wollte ich es einfach nur nicht wahrhaben?«
»Was hast du mit Jens gemacht?«, fragte Gunna und fand ihre Frage sofort lächerlich.
»Ich habe Laufey gebeten, für mich einkaufen zu gehen. Sie hat ihn mitgenommen. Ich habe es nicht geschafft, aus dem Haus zu gehen, vor allem nicht, weil die alten Schachteln im Ort die Neuigkeit bestimmt schon gehört haben«, sagte sie bitter. »Falls sie es nicht sogar schon vor mir wussten. Hast du es gewusst, Gunna? Hast du?«, wollte Sigrún wissen und sah sie fragend an.
»Nein, ich wusste nichts. Ich hatte den Verdacht, dass nicht alles in Ordnung war. Aber nein, von dieser anderen Frau habe ich nichts gewusst.«
»Bestimmt nicht? Ich muss sicher sein, dass es zumindest einen Menschen gibt, der nicht Bescheid wusste. Jörundur hat es sogar seiner Schwester erzählt. Genauso hätte er es im Radio durchsagen können.«
»Ich hatte keine Ahnung«, versicherte Gunna. »Du weißt ja, dass ich meine Meinung über den Mann hatte, aber damit hätte ich nie gerechnet.«
»Dann ist es ja gut«, antwortete Sigrún. Ihre Schultern sanken nach vorne.
»Was willst du mit diesem ganzen Zeug machen?«, fragte Gunna und deutete auf die Kleiderstapel.
»Ich habe seiner Schwester gesagt, sie soll die Sachen abholen.«
»Ist sie schon auf dem Weg?«
Sigrún stand auf. Sie sah so entschlossen aus wie schon seit Jahren nicht mehr. »Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal. Ich werde alles in Müllsäcke stecken, und sie kann sie entweder vor dem Haus oder auf der Müllkippe einsammeln.«
Laufey und Jens kehrten zurück. Der kleine Junge saß weinend in seinem Buggy, an dessen Griffen Einkaufstüten baumelten. Gunna und Sigrún waren inzwischen eifrig damit beschäftigt, Kleidungsstücke in schwarze Müllsäcke zu stopfen. Der Kleiderhaufen wurde kleiner, und der Schrank sah immer leerer aus.
»Das sind aber viele Kleider«, bemerkte Laufey vorsichtig. Sie hielt Jens an der Hand, der unsicher ins Zimmer watschelte. Sigrún nahm ihn auf den Arm.
»Dein Daddy ist ein treuloser, verlogener Bastard, du kleiner Mann«, sang sie dem kleinen Jungen vor, der lächelte und erfreut gluckste. »Und falls er zurückkommt, schneide ich ihm mit einem stumpfen Küchenmesser die Eier ab, und danach kann Tante Gunna ihn bei Wasser und Brot für immer in einen stinkenden Keller einsperren.«
***
»Wie geht’s deiner Freundin?«, fragte Steini sanft und blickte von seinem Buch auf.
»Oh, sie ist okay. Nein, stimmt nicht, aber in ein oder zwei Tagen wird es ihr besser gehen.«
Steini schwang die Füße vom Sofa, während Gunna ihre Jacke auszog und über die Rückenlehne eines Küchenstuhls hängte. Sie ging zu ihm und setzte sich neben ihn. Als sie sich
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