Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
nicht gewusst, dass er kommen würde.«
»Wo ist er jetzt?«
Jónas breitete anstelle einer Antwort die Arme aus.
»Wann wirst du ihn wiedersehen?«
»Ich habe keine Ahnung. Sindri hat im Ausland seine eigenen Geschäfte, er ist immer weniger in meine Firma involviert. Inzwischen hat er praktisch nichts mehr mit den laufenden Geschäften von Kleifar zu tun.«
»Was ist mit Kleifaberg?«
»Wie bitte?«
»Du hast mich richtig verstanden.«
»Kleifaberg ist eine Gesellschaft, die schon vor Jahren abgewickelt wurde.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht, inwieweit du dich mit diesen Dingen auskennst, Sergeant, aber Kleifaberg hatte seinen Zweck erfüllt. Der Geschäftszweig wurde aufgelöst, daher wurde die Firma aufgelöst. So einfach ist das.«
»Was für ein Geschäftszweig war das?«
»Hast du deine Hausaufgaben nicht gemacht?«, fragte Jónas Valur spöttisch. »Ich dachte, du wüsstest es längst.«
»Ich habe einige Fragen gestellt und keine vollständigen Auskünfte bekommen. Daher würde ich es gerne von dir hören.«
Dass plötzlich wieder der weltgewandte Mann vor ihr stand, alarmierte Gunna. Sie schloss daraus, dass er sich nicht mehr in der Defensive befand.
»Kleifaberg war ein kleinerer Bauträger. Wir kauften Land und erschlossen und bebauten es selbst oder suchten geeignete Partner, die geeignet waren, die Projekte zu übernehmen.«
»War das vorwiegend Sindris Geschäft?«
»Ja. Er ist ein cleverer Bursche, mein Sohn«, sagte Jónas Valur und konnte seinen Stolz nicht verbergen. »Er hat gemerkt, was die Stunde geschlagen hat, und auf die Analysten gehört. Er verkaufte seine Geschäftsanteile und verlagerte seine Geschäfte in ein stabileres Umfeld ins Ausland. Ich glaube, er war der Einzige, der den richtigen Zeitpunkt erkannt hat. Er hätte auch noch ein Jahr oder länger weitermachen können. Aber …«
Ein Schulterzucken beendete den Satz.
»Ich wüsste gerne, warum du dich für eine eher kleine Gesellschaft wie Kleifaberg interessierst, die zudem gar nicht mehr existiert. Es war immer alles legal, und es ist ohnehin alles schon so lange her, dass es inzwischen verjährt ist.«
»Dir ist doch klar, dass ich dir das nicht sagen darf, und wahrscheinlich weißt du auch, dass dein Sohn einige Fragen zu beantworten hat.«
***
»Mum, kommst du bald nach Hause?«, fragte Laufey. Gunna versuchte, sie über das Fahrgeräusch hinweg zu verstehen. Trotz der schlechten Verbindung wusste sie instinktiv, dass etwas nicht stimmte.
»Was ist los, Schätzchen?«, fragte sie. Ihr Blick war auf die Straße gerichtet, und mit einer Hand drückte sie den Kopfhörer fester ans Ohr.
»Ich weiß nicht. Sigrún ist ziemlich unglücklich wegen irgendetwas. Sie weint die ganze Zeit.«
»Ich bin auf dem Weg, ich komme in etwa einer Viertelstunde.«
»Danke, Mum.«
Gunna trat das Gaspedal ein wenig weiter durch. Nach der Abzweigung ließ sie den Range Rover im Leerlauf die nagelneue Zufahrt zum Kreisverkehr hinunterrollen. Sie war sicher, dass diese Stelle bei Schneefall unpassierbar werden würde, wenn hier im Südwesten auch so viel Schnee fiele, wie sie es aus ihrer Kindheit im Westen Islands kannte. Sie beschleunigte wieder, als sie die Straße nach Süden erreichte.
Auf den schwarzen Lavafeldern, die aus der Ferne wirkten, als gäbe es dort kein Leben, wuchsen die ersten grünen Frühlingsflechten, die bei den steigenden Temperaturen aus ihrer Winterruhe erwachten. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Straße frei war, wechselte sie mit dem schweren Wagen auf die Gegenfahrbahn, um einen langsamen Lkw zu überholen, der mit großen Bottichen voller Fisch beladen war. Schnell öffnete sie das Fenster und winkte dem Fahrer zu, einem Verwandten von Haddi, der den frisch gefangenen Fisch zur Fischverarbeitungsfabrik nach Grindavík transportierte. Der Lastwagen blendete kurz auf, bevor er hinter einer Biegung verschwand.
Kies spritzte auf, als Gunna vor Sigrúns Haus hielt. Sie steckte ihr Handy und die Autoschlüssel in die Tasche, bevor sie ums Haus herum zur Hintertür lief.
»Hallo! Jemand zu Hause?«, rief sie, öffnete die Küchentür und blickte hinein. Eine Reihe prall gefüllter Müllsäcke begrüßte sie.
»Sigrún? Bist du da?«, rief sie, schlüpfte aus ihren Schuhen und stapfte ins Haus.
Ein ersticktes Schluchzen verriet ihr, wo sie suchen musste. Sigrún saß im Schlafzimmer auf der Bettkante. Um sie herum türmten sich Berge von Kleidung.
»Hey, was ist denn los?«, fragte
Weitere Kostenlose Bücher