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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Lisa. Lisa Kleinschmidt. Henriette Gleinegg hätte sich nie entschuldigt, auch wenn sie ihn um Mitternacht aus dem Schlaf gerissen hätte. Lisa sprach weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. »Aber ich wollte es dir sagen. Ich gehe ins Kloster. Nur für ein paar Tage. Meine Mutter passt auf die Kinder auf. Ich muss einfach weg. Weg von allem. Abstand gewinnen. Die Gundula bekommt ein Kind. Kannst du dir das vorstellen? Ausgerechnet jetzt vor Weihnachten hat ihnen der Georg das sagen müssen! Dem Max und der Miriam! Halleluja! Ich kann einfach nicht mehr! Ach was, natürlich kann ich! Aber ich brauche zwei Tage für mich ganz allein, verstehst du das? Ich habe schon mit der Oberin gesprochen. Die wollte am Anfang Zicken machen wegen dem traurigen Geschehen und so. Aber ich bin hartnäckig geblieben. Ärztin mit Familie, Burnout, blablabla. Und jetzt darf ich kommen. Morgen schon. Vielleicht kann ich mich ja sogar ein bisschen umhören. Ich wollte es dir einfach sagen.« Ihre Stimme erstarb, die Erschöpfung war ihr sogar über die Entfernung anzuhören.
    »In welches Kloster? Doch nicht etwa …«
    »Doch, natürlich. Du hast mir doch selber davon erzählt, dass die auch Gäste für Einkehrtage aufnehmen. Das ist mir eingefallen, wie …«
    »Lisa, das ist eine totale Schnapsidee, entschuldige bitte. Aber wir stecken mitten in …«
    »Na und? Was hat denn das mit mir zu tun? Und der Gundula? Ein Kind der Liebe, dass ich nicht lache! Oder nein, besser speibe! Entschuldige! Die Gundula und Mutter! Wo sie den Max immer ankeppelt, wenn er nur …«
    Er saß da und hatte das Gefühl, als ob ihm dieser Fall endgültig entgleiten würde. Wie die Quecksilberkügelchen aus einem zerbrochenen Thermometer. Aber andererseits: Nur aus dem Chaos entsteht neue Ordnung. Oder neue Erkenntnis. Oder so ähnlich jedenfalls. Das hatte ihnen ihr Chemieprofessor am Gymnasium immer gepredigt, der Krimpelstetter, dem sämtliche Versuche spektakulär misslungen waren. Einmal war ihm der Bunsenbrenner …
    »Artur, hörst du mir überhaupt zu?«
    »Natürlich höre ich dir zu! Und ich kann nur wiederholen, dass ich es für einen ausgemachten Unsinn und für gefährlich obendrein halte, ausgerechnet jetzt in diesem Haus irgendwelche Einkehrtage absolvieren zu wollen. Kannst du nicht Urlaub in einer Therme machen?«
    »Oh ja! Urlaub in einer Therme, super Idee! Mit Dampfkammer und Fangopackungen.« Ihre Stimme klang so schneidend, wie er es nie für möglich gehalten hätte. »Na ja, danke, Artur. Wir hören wieder voneinander.« Und sie beendete das Gespräch. Er hielt das Handy in der Hand, es fühlte sich an wie ein feuchter Klumpen. Frauen! Wie anstrengend die doch waren. Heute war so ein Tag … er wäre am liebsten selbst ins Kloster gegangen.

    *

    Das Tor schloss sich hinter ihr mit einem dumpfen Knall. Die Schwester, die sie in Empfang genommen hatte, ging voran, ohne sich nach ihr umzusehen. Es war kein allzu freundliches Willkommen gewesen, aber dies war ja auch kein Hotel, wo das Personal fürs falsche Lachen bezahlt wurde, sondern ein Ort, an dem sie sich Stille und Frieden erhoffen durfte und sonst gar nichts. Die Stimme von Miriam gellte ihr noch immer im Ohr. Die Gundula bekommt ein Baby, damit du es nur weißt! Ihre Tochter hatte ihr das entgegengeschleudert wie einen Fehdehandschuh! Und ihr eigenes Gesicht war ganz weiß geworden, das hatte sie gespürt, gewusst, auch ohne Spiegel. Wann war aus ihrer Tochter nur ihre Feindin geworden?
    Sie gingen durch einen langen, kalten Gang, der mit rosenfarbenen Steinfliesen belegt war. Die Schuhe der Schwester hatten offenbar Kreppsohlen, die nur ein leises Quietschen verursachten. Sie selbst trug Winterstiefel mit Absätzen, die peinlich klackten. Wenigstens kam es ihr so vor. Dann waren sie am Fuß einer steinernen Treppe angelangt und stiegen hinauf, an Ölgemälden und den Ranken einer Efeutute vorbei, die sich über die weißgekalkten Wände schlängelte. Flügeltüren begrenzten den ersten Stock zu beiden Seiten. Die Schwester wies auf die Tür zur Rechten. »Dahinter beginnt unsere Klausur, also der Teil des Hauses, den zu betreten Gästen nicht gestattet ist.« Sie ging weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. »Gewiss«, hörte sich Lisa murmeln und sah erwartungsvoll auf die Tür zur Linken. Ob sich dort ihr Zimmer befinden würde? Aber die Schwester stieg bereits wieder eine Treppe hoch, die erheblich steiler war als die vorige und in fensterloser Düsternis zu enden schien.

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