Kalter Weihrauch - Roman
Dachbodenkammer, in der es natürlich keinen Fernseher gab, ja nicht einmal ein Radio. Ihr eigenes Notebook hatte sie zu Hause gelassen, gratuliere, und auf Lesestoff hatte sie genauso vergessen wie auf ihren Bademantel. Wunderbar, gut gemacht, Frau Kleinschmidt!
Sie blickte auf ihre Uhr. Vier Uhr vorbei, und sie hatte keine Ahnung, wie sie die Zeit bis zum Schlafengehen verbringen sollte. Ob man einfach durchs Kloster schlendern und sich ein bisschen umsehen konnte? Irgendwie fehlte ihr der Mut dazu. Ob sie zu Hause anrufen sollte? Nein, besser nicht, der Max würde dann bestimmt weinerlich werden und ihr das Herz schwer machen. Obwohl er sich so auf die Freilassing-Oma gefreut hatte. Sie würde lieber ihre paar Pullover auspacken und sich dann ein wenig ausruhen, wozu war sie sonst an diesen weltfernen Ort gekommen?
Um 20 nach vier hielt sie es nicht mehr länger aus. Sie tippte auf ihr Handy und lauschte dem Freizeichen. Endlich wurde abgehoben.
»Ja, werisda?« Der Max, verflixt, der zum Glück richtig vergnügt klang. Aber gleich würde er zu quengeln beginnen, wenn er ihre Stimme hörte.
»Hallo, mein Großer. Ich bin’s, die Mama. Geht’s dir auch gut? Wo ist denn die …«
»Die Oma macht gerade Schinkenfleckerln. Und ich darf fernsehen. Baba, Mama!«
Gepolter war zu hören, dann bekam offenbar ihre Mutter den schnurlosen Apparat in die Hand gedrückt. »Ja Lisa, bist du das? Wie geht es dir, Kind?«
»Danke, Mama, wirklich gut! Du machst gerade Schinkenfleckerln? Ich bin so froh, dass du Zeit gehabt hast, wirklich! Was treibt denn Miriam? Hoffentlich benimmt sie sich halbwegs und macht dir keine …«
»Ooch, wir zwei kommen prima miteinander aus, mach du dir keine Sorgen, Kind! Die Miri sitzt gerade in ihrem Zimmer und lernt für irgendeine Prüfung am Freitag. Und der Max ist sowieso ein Goldstück. Aber du, ich muss jetzt wieder zum Herd, ja? Pass gut auf dich auf, Kind, und komm mir erholt zurück. Wir denken an dich!«
Am liebsten hätte sie das Handy in die Ecke geschleudert. Sehr aufbauend, sie wurde ja geradezu glühend vermisst! Sie hockte sich wieder auf die grobe kratzige Bettdecke und zog die Beine an. Dann ließ sie sich langsam zur Seite kippen. Sie würde nur für ein paar Minuten die Augen zumachen, solch einen Luxus am Nachmittag hatte sie sich schon lang nicht mehr gegönnt. Aber ihre Augen waren ja schon zu. Und die Decke war gar nicht kratzig, sondern roch irgendwie vertraut, wie die Decken damals in den Stockbetten am Schulschikurs. Als sie sich zum ersten Mal über eine schwarze Abfahrt getraut hatte. Ein Fenster im Hof schlug zu, aber Lisa hörte es nicht mehr.
Als sie erwachte, war es finstere Nacht. Und sie lag noch immer in Rock und Pullover auf dem Bett, unglaublich! So etwas war ihr schon seit vielen Jahren nicht mehr passiert. Sie tastete nach ihrem Handy und starrte auf die Zeitangabe. 05 Uhr 20, das konnte nur ein Scherz sein! Sie hatte über zwölf Stunden lang geschlafen! So tief und fest wie ein sattes Baby. Sie zog die zerwühlte Decke fester um sich. Wann es hier wohl Frühstück gab? Und wo? Sie war so überstürzt und kopflos in dieses Abenteuer gestartet, fast trotzig, ganz besonders nach der Reaktion von Artur, der sie behandelt hatte wie ein Schulmädchen. Aber jetzt war sie hier gelandet und würde das Beste aus diesen zwei Tagen machen. Weiter unten im Haus wurden leise Geräusche hörbar, Türenschließen und ein Trappeln von Füßen. Es klang so sachte wie das Huschen von Mäusen. Sie setzte sich im Bett auf und rieb sich die Augen, dann machte sie im Finstern die zwei Schritte zum Fenster. Das Kloster lag in tiefer Dunkelheit, nur zwei hohe Bogenfenster im gegenüberliegenden Trakt waren erleuchtet, warmes Licht flackerte hinter den Scheiben, ganz eindeutig von Kerzen. Sie entriegelte das Fenster, das sich zum Glück öffnen ließ, und beugte sich hinaus in die kalte, klare Luft. Leiser Gesang wehte über den Innenhof bis zu ihr hinauf unters Dach. Lisa schloss für einen Moment die Augen. Sechs Uhr früh! Es war so unwirklich, so friedvoll, als ob sie noch immer träumen würde. Dann verriegelte sie das Fenster wieder und begab sich in das nachträglich eingebaute sogenannte Badezimmer. Sogar eine Dusche war da, sie ließ das warme Wasser über ihren Rücken prasseln.
40 Minuten später schlich, nein, ging sie tapfer durch das Stiegenhaus hinunter auf der Suche nach dem Frühstücksraum. Oder wie auch immer man das hier nannte! Die Doppeltür
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