Kaltes Blut
wenn ich dich aus dem Bett geholt habe, aber mir geht’s nicht gut.«
»Bist du krank?«
»Nein, ich bin nicht krank. Oder vielleicht doch, ich weiß es nicht. Dominik ist ausgezogen.«
»So plötzlich? Was ist passiert?«
»Ich hab ihn vor die Tür gesetzt, weil die letzte Zeit nicht mehr so toll war und ich einfach ein bisschen Abstand brauchte.«
Sie hielt inne, und als sie nicht weitersprach, fragte ihr Vater: »Aber das ist doch nicht alles, oder?«
»Nein. Er hat schon seit Weihnachten eine andere, ich hab sie sogar vorhin kennen gelernt. Und dieser Idiot bringt sie auch noch mit!«
»Wieso bringt er sie mit?«
»Ach, ich hab ihm seine Sachen gepackt und ihn gebeten, das Zeug gleich abzuholen, und weil es zu viel auf einmal war, hab ich ihm angeboten, eine Tasche mit runterzutragen. Der hat sich auf einmal gewunden wie ein Aal, und da hat’s bei mir klick gemacht. Sie saß im Auto, jung, knackig, eine Praktikantin aus dem Sender.«
»Und was hast du dann gemacht? Doch hoffentlich nichts Unüberlegtes.«
»Nein, ich hab mit ihr gesprochen. Die merkt glaub ich noch gar nicht, auf was sie sich da eingelassen hat. Ich hab halt ein paar zynische Kommentare abgegeben, nicht ihr gegenüber, sie kann ja nichts dafür, er hat ihr vorgelogen, ich wäre nur eine gute Freundin und so …«
»Julia, bevor du weitersprichst, lass mich dir eins sagen: Du hast eine gute Entscheidung getroffen. Was immer dich dazu veranlasst hat, es war gut.«
»Es war gut! Wie toll! Warum klappt es zwischen mir und den Männern nicht? Warum? Du und Mutti, ihr beide wart doch so lange glücklich miteinander. Warum geht das bei mir nicht?«
»Deine Mutter und ich, wir hatten auch unsere Höhen und Tiefen …«
»Doch ihr wart trotzdem glücklich.«
»Ja, schon. Aber du kannst nicht ein Leben mit einem andern vergleichen. Ich bin ganz sicher, du wirst noch jemanden finden, der es wirklich ernst mit dir meint.«
»Das hast du mir schon einige Male gesagt, und was ist bis jetztdaraus geworden?! Ich falle immer und immer wieder auf irgendwelche Typen herein. Liegt es an mir?«
»Nein, höchstens ein bisschen. Horch mal in dich hinein und frage dich, welche Fehler du machst. Ich bin sicher, du wirst eine Antwort darauf erhalten.«
»Sag du mir doch, was du denkst«, bat sie. »Ich kann Kritik vertragen.«
»Also gut. Du gehst meiner Meinung nach zu verbissen an die Sache ran. Aber ich kenne dich nicht anders. Du willst immer alles ganz oder gar nicht. Denk mal drüber nach.«
»Was heißt, ich will immer alles ganz oder gar nicht?«
»Das ist in deinem Beruf so, aber auch sonst. Es gibt Menschen, die lieben mit Haut und Haaren und lassen dem andern kaum noch die Luft zum Atmen …«
»Das stimmt nicht, ich habe bis jetzt noch keinen eingeschnürt, im Gegenteil. Ich lasse jedem seinen Freiraum, und trotzdem funktioniert es nicht. Die Ursache muss woanders liegen.«
»Julia, du bist im Augenblick sehr traurig und verletzt, was ich verstehen kann. Aber du solltest nie vergessen, dass du einzigartig im Universum bist und dass du für Gott und für mich sehr, sehr viel bedeutest, auch wenn du mit Gott nicht viel am Hut hast. Ich jedenfalls hätte mir keine bessere Tochter wünschen können.«
»Aber ich gehe auf die vierzig zu …«
»Jetzt mach mal langsam, du wirst im November achtunddreißig und hast noch mindestens ein halbes Leben vor dir. Und was du bis jetzt geleistet hast, ist aller Ehren wert.«
»Paps, noch mal, ich gehe auf die vierzig zu und …«
»Julia, du warst vor drei Wochen hier, und wir haben uns lang und breit darüber unterhalten. Hast du im Moment viel zu tun?«
»Ja, schon.«
»Dann stürz dich in die Arbeit, das lenkt ab. Und irgendwo wartet jemand auf dich, da bin ich ganz sicher. Du musst nur daranglauben und es dir ganz fest wünschen. Dass deine erste Ehe so schlecht war, daran warst nicht du schuld. Ich hab dich sehr lieb, aber ich kann dir leider keine Ratschläge geben oder dir einen Mann herbeizaubern, ich kann dir nur zuhören.«
»Ach, Mensch, es ist alles Scheiße! Ich wollte mit dem Rauchen aufhören, und jetzt hab ich seit vorhin fast eine ganze Schachtel leer gequalmt.«
»Denk an deine Mutter«, sagte ihr Vater mahnend, und sie meinte seinen erhobenen Zeigefinger zu sehen, auch wenn er vierhundert Kilometer von ihr weg war. »Das Schlimmste für mich wäre, wenn du dasselbe Schicksal erleiden müsstest wie sie. Hör auf mit der Qualmerei, sie bringt dich noch ins Grab. Geh
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