Kaltes Blut
gefeilt.«
»Was für Bücher schreiben Sie?«
»Gehen wir doch raus auf die Terrasse, meine Töchter und Tobias, der Sohn der Kaufmanns, sind auch im Garten. Was zu trinken?«
»Nein, danke, jetzt nicht.« Sie setzte sich. Auf dem Tisch lag ein Stapel beschriebener Blätter. »Wie geht es Ihnen?«
»Wie soll es mir gehen nach den Ereignissen der letzten Tage. Ich versuche im Moment, das Beste aus der Situation zu machen, auch wenn es mir schwer fällt. Es mag nach außen den Anschein haben, als würde mich das Geschehene kalt lassen, aber das trügt.Deswegen habe ich mich entschlossen, jetzt endlich das Buch zu Ende zu redigieren und an den Verlag zu schicken. Dadurch komme ich wenigstens auf andere Gedanken. Und ich habe erkannt, dass man noch so schlau und gelehrt sein kann, man wird immer Fehler machen, solange man lebt. Und ich habe einen riesengroßen Fehler begangen, den ich zutiefst bereue und der mich beinahe alles gekostet hätte, was mir lieb und teuer ist.«
Ohne darauf einzugehen, sagte Durant: »Sie haben meine Frage nicht beantwortet: Was für Bücher schreiben Sie? Es interessiert mich wirklich.«
»Es sind lebensbejahende Bücher, aber nicht der übliche ›Mitpositiv-Denken-kommst-du-über-den-Tag‹-Quatsch, nein, ich versuche, den Menschen Wege aufzuzeigen, wie sie ihre innere Mitte beziehungsweise ihren inneren Frieden finden können. Dabei verwende ich einige Lehren aus dem Buddhismus, aber auch aus dem Islam oder dem Christentum. Jede Lehre hat etwas Gutes, aber keine ist die allein selig machende. Etwas kompliziert, nicht?«, sagte er, als er das scheinbar kritische Aufblitzen in Durants Augen bemerkte.
»Nein, überhaupt nicht. Ich könnte im Moment ein solches Buch gut gebrauchen.«
»Nichts einfacher als das. Warten Sie«, sagte er, erhob sich und ging in sein Arbeitszimmer. Er kam mit drei Büchern zurück und legte sie auf den Tisch. »Für Sie. In Ihrer derzeitigen Lage würde ich mit dem obersten beginnen. Es hilft, den Trennungsschmerz und die Verletzungen zu überwinden.« Dabei lächelte er vielsagend.
»Woher wissen Sie …«
»Ich sagte Ihnen doch, Veränderung. Wie diese Veränderung allerdings aussieht, liegt allein bei Ihnen. Aber Sie sind eine starke Frau und eine noch stärkere Persönlichkeit. Deshalb lesen Sie bitte dieses Buch, ich habe es zusammen mit einem Kollegen aus Indien verfasst.«
»Danke.« Sie hatte Mühe, nicht gleich wieder in Tränen auszubrechen,weil sie sich so hilflos und von Gerber so durchschaut fühlte und gleichzeitig Bewunderung für seine Gabe empfand.
»Frau Durant, was kann ich für Sie tun? Sie sind doch nicht ohne Grund gekommen.« Er lehnte sich zurück, die Beine übereinander geschlagen, die Hände aneinander gelegt. Ihr fiel erst jetzt auf, dass er immer sehr helle Farben trug, ein weißes Hemd und eine helle Jeans.
»Ich bin eigentlich nur gekommen, um etwas mehr über Herrn Mischner zu erfahren.«
»Dachte ich mir. Herr Hellmer hat uns gestern Abend schon mitgeteilt, was geschehen ist. Schrecklich.«
»Wie gut kannten Sie ihn?«
»Es geht, er war schließlich knapp anderthalb Jahre auf dem Hof angestellt, und da ich etwa jeden zweiten Tag hinfahre, habe ich ihn natürlich häufig gesehen. Aber was konkret möchten Sie wissen?«
»Was für ein Mensch war er?«
»Still, zurückgezogen, unaufdringlich. Aber ich habe selten jemanden gesehen, der so gut mit Pferden oder Tieren überhaupt umgehen konnte wie er. Und als das mit der Vergewaltigung passierte, war ich wie vor den Kopf gestoßen, weil ich das nie von ihm gedacht hätte.«
»Dr. Gerber, Sie haben mich durchschaut, als ob ich ein gläserner Mensch wäre. Sie haben sich doch sicher auch über Herrn Mischner Gedanken gemacht.«
»Ich habe mir im Nachhinein Gedanken gemacht, das stimmt. Aber wenn ich jeden Menschen, den ich sehe, durchschauen könnte, wäre ich schon längst in der Psychiatrie gelandet. Das hält keiner durch. Deshalb gehe ich selektiv vor. Das heißt, ich schalte den Knopf nur ein, wenn ich es will. Und ich muss die Hände der betreffenden Person wenigstens einmal gesehen haben, um etwas über deren Zustand aussagen zu können.«
»Trotzdem, was sind Ihre Gedanken im Nachhinein? Hätten Sie ihm vorher so etwas zugetraut? Ich meine, die Vergewaltigung.«
»Ehrlich gesagt, nein. Es kam für die meisten überraschend, auch wenn der oder die eine oder andere das Gegenteil behauptet. Gerechnet hat damit keiner. Aber Sie kennen ja dieses
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