Kaltes Blut
ist der Bruder meiner Frau.«
»Nein, das ist mir neu. Aber Ihrer Frau gehört der Reiterhof?«
»Achim hätte damit überhaupt nichts anfangen können. Tja, und dann hätte ich noch Christian Malkow zu bieten, Pastor, verheiratet, drei Kinder, von denen zwei studieren und eins noch zu Hause lebt. Christian ist der Querdenker schlechthin, aber trotz allem sehr beliebt, oder vielleicht sogar gerade deswegen. Christian ist der ältere Bruder von Werner.«
»Wie alt sind die Herren?«
»Achim wird im Dezember siebenunddreißig, Werner ist zweioder dreiundvierzig und Christian um die fünfzig. Genau kann ich es nicht sagen, ich müsste in meiner Kartei nachschauen.«
»Sie sind alle Patienten von Ihnen?«
»Ja.«
»Und sie sind auch häufig auf dem Hof anzutreffen?«
»Werner macht sogar die Buchhaltung in ehrenamtlicher Funktion, und Thomas erledigt nebenbei ein paar administrative Arbeiten. Achim schaut so zweimal in der Woche vorbei, wenn es seine Zeit erlaubt, denn neben seiner Arbeit als Klimaforscher ist erauch noch Hobbyastronom. Und Christian lässt sich ein- oder zweimal im Monat blicken. Die Personen, die ich eben genannt habe, würde ich zu meinem engeren Freundes- oder Bekanntenkreis zählen, wobei Achim und Sonja zwangsläufig zur Verwandtschaft gehören. Aber unsere besten Freunde sind natürlich Peter und Helga, doch nur Selina ist geritten.«
Julia Durant ging auf den letzten Satz nicht ein, obgleich ihr eine spöttische Bemerkung auf der Zunge lag. »Und Sie würden keinem von ihnen einen Mord zutrauen?«
Gerber dachte nach, sah die Kommissarin an und stützte seinen Kopf auf den linken Arm, den kleinen und den Ringfinger unter den Mund gelegt.
»Ich habe mit Emily gestern Abend darüber gesprochen. Ich hoffe, ich verbrenne mir jetzt nicht den Mund, aber ich habe ihr gegenüber die Vermutung geäußert, dass der Mörder auf dem Hof zu suchen ist. Sie lehnt diesen Gedanken natürlich vehement ab, sie sieht alles, was ihr Großvater und Vater aufgebaut haben, in Gefahr, was ich auch verstehen kann. Dennoch bin ich Ihrer Meinung …«
»Aber Sie haben keinen speziellen Verdacht?«
»Nein, und ich will auch keinen verdächtigen, weil ich viele dort zu gut kenne. Es könnte im Prinzip jeder sein. Ich habe mir den Kopf darüber zermartert und gemerkt, es führt zu nichts. Ich bin kein Polizist, dieses logisch-analytische Denken und Kombinieren liegt mir nicht. Es gibt sicherlich welche, denen ich es eher zutrauen würde als anderen, aber ich würde zum jetzigen Zeitpunkt keine Namen nennen, denn wie heißt es doch so schön, in jedem von uns steckt ein Mörder.«
»Ihre Freunde wohnen alle hier in der Ecke?«
»Bis auf die Malkows sind alle Okrifteler oder zugezogene Okrifteler. Sie müssen dazu allerdings die Geschichte des Ortes kennen. Es gibt zwei Okriftel, um es genau zu nehmen. Das eine liegt jenseits der Buchenstraße, das andere ist hier, wo wir wohnen, das Dichterviertel, und die Märchensiedlung, wo Herr Hellmerwohnt. Das alte Okriftel hat sich nur unwesentlich verändert, der Ortskern wurde saniert, hier und da kamen ein paar Häuser dazu.
Unsere Siedlungen sind Anfang der Siebziger nach und nach entstanden, und ich kann Ihnen eines sagen, hier hat man unglaubliche Schwierigkeiten als Fremder. Es ist eine verschlossene Gesellschaft, eine sehr verschlossene Gesellschaft. Diejenigen, die innerhalb der ersten zehn Jahre gebaut haben, also die mittlerweile Alteingesessenen, kennen in der Regel ihre Nachbarn, wer aber neu herkommt, hat kaum eine Chance, Kontakte zu schließen, es sei denn, man ist sehr erfolgreich oder tritt einem Verein bei. Ansonsten ist man Fremden gegenüber sehr misstrauisch oder gar ablehnend.
Und es ist eine ziemlich skurrile Gesellschaft, von Ausnahmen abgesehen, von denen viele recht wohlhabend, wenn nicht gar reich sind. Architekten wie Peter Kautz, Ingenieure, Unternehmer, Richter, Staatsanwälte, Ärzte, vom gehobenen Mittelstand bis zur Upperclass ist hier alles vertreten. Sie kamen nach der Gebietsreform 1972 in Strömen her. Das Bauland war damals noch sehr erschwinglich, heute müssen Sie schon eine gewaltige Summe hinblättern, um überhaupt ein Grundstück zu bekommen. Unter siebenhundertfünfzig Euro pro Quadratmeter ist nichts drin. Gestern Vormittag hatten wir ein Gespräch auf dem Hof, und da wurde tatsächlich gerätselt, wie sich Ihr Kollege sein Haus im Sterntalerweg leisten kann.«
»Seine Frau hat sehr viel Geld geerbt …«
»Das war mir bis
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