Kaltes Blut
geschaut? Ja, er wollte es, da war sie sich jetzt sicher.
Er blickte noch einmal um sich, die CD von Shania Twain lag im Spieler, er startete den Motor und fuhr los, den Südring hinauf bis zur Ampel, bog links ab und nahm den direkten Weg nach Okriftel. Er stellte die Anlage an, die Musik klang voluminös aus den versteckt platzierten Lautsprechern.
»Shania Twain! He, das ist meine absolute Lieblings-CD. Ich hab sie bestimmt schon tausendmal gehört.«
»Das ist aber ein Zufall«, sagte er lächelnd. »Wenn ich unterwegs bin, höre ich sie auch am liebsten. Die Frau hat einfach was. Welches Lied gefällt dir denn am besten?«
Miriam überlegte. »Eigentlich alle, aber ›You’re still the one‹, ›When‹ und natürlich ›That don’t impress me much‹ sind die besten. Vor allem, wenn sie über Brad Pitt herzieht. Doch der Rest ist auch nicht schlecht.«
»Verstehst du denn die Texte?«
»Nicht alles, aber im Booklet kann ich ja nachlesen, wenn ich was nicht verstehe.«
Sie passierten das Ortsschild, kamen an der Tankstelle vorbei, die um diese Zeit geschlossen war, nur wenige Autos begegneten ihnen und noch weniger Spaziergänger, die die abendliche Kühle nutzten, um noch ein bisschen frische Luft zu schnappen, bevor sie zu Bett gingen. Ein sternenklarer Himmel wölbte sich über ihnen, fast zum Greifen nah ein nach oben steigendes Flugzeug.
Er lenkte den Wagen vor die Garage, das Tor hob sich automatisch, und er fuhr hinein.
»Wieso sind wir bei dir?«, fragte Miriam überrascht und mit neckischem Augenaufschlag. »Ist deine Frau nicht zu Hause?«
»Nein, sie kommt erst morgen früh, sie übernachtet heute bei ihrer Mutter, ihr geht es seit ein paar Tagen sehr schlecht«, log er, während sich das Tor wieder senkte. Sie war woanders, würde irgendwann um drei oder vier Uhr morgens wiederkommen, auf keinen Fall früher. Es war jeden Sonntag das Gleiche. Aber das musste Miriam nicht unbedingt wissen. »Komm mit rein, ich zeig dir das Haus.« Dabei lächelte er aufmunternd. Er hatte es sichschwerer vorgestellt, doch Miriam hatte es ihm erstaunlich leicht gemacht.
Ja, sie würde mit reinkommen, schließlich waren sie allein. Alles in ihr vibrierte, wenn sie an die nächsten Minuten, vielleicht sogar Stunden dachte. Kein Gedanke mehr an ihre Mutter, die wahrscheinlich schon schlief, nachdem sie wieder einmal zu viel Wein getrunken hatte. Nein, an zu Hause wollte Miriam jetzt nicht denken, dazu war sie zu aufgeregt, denn sie wusste genau, dass schon in wenigen Augenblicken ihr größter Wunsch in Erfüllung gehen würde. Und sie hatte auch keine Bedenken, etwas Unrechtes zu tun, auch wenn sie seine Frau gut leiden mochte, aber solange sie es nicht erfuhr … Und wenn er es wollte, dann wollte sie es erst recht.
Sie betraten den langen Flur mit dem weichen dezent-roten Teppichboden und gelangten direkt in das geräumige Wohnzimmer mit dem Kamin aus Naturstein, dem fast eine ganze Wandbreite einnehmenden Fenster, den erlesenen Möbeln. Sie saugte die Eindrücke in sich auf, wünschte sich, später auch einmal so zu leben.
»Setz dich ruhig«, sagte er und stellte die Stereoanlage an. »Möchtest du etwas trinken?«
»Nein, danke.«
»Eine Cola oder ein Glas Orangensaft, ich habe natürlich auch Wein da oder einen exzellenten Cognac«, sagte er mit aufmunterndem Lächeln. »Du meine Güte, jetzt hab ich doch glatt vergessen, dass du noch keinen Alkohol trinken darfst. Aber probiert hast du doch sicherlich schon, oder?«
Miriam merkte, wie sie immer nervöser wurde, wie doch ein wenig Angst und Unruhe sie beschlichen.
»Was trinkst du denn?«, fragte sie zaghaft.
»Einen Cognac.«
»Dann nehm ich auch einen«, sagte sie mit einem Mal selbstbewusst. Sie hatte die Arme auf der weichen Lehne des Ledersessels liegen, die Beine eng geschlossen. Er reichte ihr den Cognacschwenker, hob das Glas und sagte: »Auf dein Wohl.«
Er trank die braune Flüssigkeit in einem Zug, Miriam beobachtete ihn dabei, setzte das Glas an und tat es ihm gleich. Sie hatte nur einmal zuvor Cognac getrunken, und wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, und sie musste husten. Es brannte in ihrem Magen, alles in ihr wurde heiß. Doch schon nach wenigen Momenten verwandelte sich die Hitze in ein angenehmes Gefühl, eine Art Schweben, eine unbeschreibliche Leichtigkeit.
Er stellte sein Glas auf den Tisch und reichte ihr die Hand. »Komm, ich zeig dir was.«
»Was denn?«, fragte sie, obgleich sie sich vorstellen konnte, was er
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