Kaltes Blut
eigentlich, dass sie eine Hure war? Nein, du weißt es nicht, aber ich weiß es, denn sie hat es mir vorhin gesagt. Sie wollte sogar mit mir ficken, aber ich wollte es nicht. Oder nein, ich hätte schon gewollt, aber es ging nicht. Du weißt ja, heutzutage machen die DNA-Tests, und das ist mir einfach zu riskant. Aber bevor du gehst, kann ich dir sagen, dass du sie wiedersehen wirst – Selina, deine Mama … Ja, du hast richtig gehört, deine Mama ist auch schon dort oben. Wäre es nicht schrecklich gewesen, wenn du nach Hause gekommen wärst und eine tote Mutter vorgefunden hättest? Ich denke, allein schon deshalb ist es besser, wenn auch duzu ihr gehst. Eins kann ich dir aber sagen, dich hätte ich schon gerne gefickt. Das ist doch die Sprache, die ihr immer gebraucht. Aber ich habe Grundsätze, ganz im Gegensatz zu euch. Und einer dieser Grundsätze lautet, betrüge niemals deine Frau, auch wenn sie eine Hure ist. Ja, ja, auch sie ist eine Hure, aber ich liebe sie, ich liebe sie mehr als alles auf der Welt, und sie liebt mich. Komisch. Wofür eigentlich? Nur weil ich so gut bin? Weil ich es allen recht mache? Egal, Hauptsache, sie liebt mich auch weiterhin.«
Er hielt inne, überlegte, fasste sich mit der Hand ans Kinn. »Weißt du, ich möchte dir gerne die Augenbinde abnehmen. Soll ich es tun?«
Miriam ballte die Fäuste.
»Das war eine klare Antwort, sehr brav. Na gut, ich will mal nicht so sein, du sollst schließlich sehen, was gleich geschieht. Ja, du darfst zuschauen. Aber vorher will ich dir noch eines sagen. Das, was ich tue, tue ich nicht gern. Nein, wirklich nicht. Doch wenn ich dich nicht davor bewahre, dem Bösen in die Hände zu fallen, wer tut es dann? Schau dir doch nur mal diese Welt an. Sie ist so abgrundtief schlecht geworden. Die Menschen lernen einfach nie dazu. Sie lügen und betrügen, sie beschmutzen sich, obgleich sie als etwas Reines geboren werden. Deine Mama hat gesagt, ich dürfe dir unter keinen Umständen verraten, dass sie eine Hure ist. Andernfalls würde sie mich umbringen. Aber das geht ja jetzt nicht mehr, denn wie will sie mich umbringen, wenn sie doch selbst schon tot ist?!« Er lachte auf, als hätte er einen besonders guten Witz gemacht, ging zum Kühlschrank, holte eine Spritze heraus, die er vor dem Weggehen gefüllt hatte, blickte Miriam noch einmal in die vor Entsetzen geweiteten grünen Augen, die ihn voller Verzweiflung anschrien, bevor er die Nadel in die gut sichtbare Vene stach. Miriam schlief zum zweiten Mal ein.
Er nahm das Messer und setzte den ersten Stich direkt ins Herz. Ein kaum merkliches Zucken, Miriam war tot. Um zwei Minuten vor halb drei hatte er sein Werk beendet. Er packte seine Fracht in den Kofferraum und fuhr damit bis unmittelbar an den Spielplatz.In einem der Häuser brannte Licht, doch es war zu weit entfernt, als dass ihn jemand von dort aus hätte sehen können. Er setzte sein Nachtsichtgerät auf, zwei Hasen, die über die Wiese hoppelten, eine Ratte schnüffelte am Flaschencontainer, um gleich darauf im hohen Gras zu verschwinden. Er ging mit seinem Paket bis zu einem Gebüsch und legte es ab. Sie würden sie finden, vielleicht heute schon, vielleicht morgen, vielleicht auch erst in ein paar Tagen. Und er konnte sich vorstellen, was in den Köpfen dieser beschränkten Polizisten vorging, wenn man sie fand. Er musste lachen, als er nach Hause fuhr.
Montag, 7.30 Uhr
Polizeipräsidium, Lagebesprechung. Julia Durant war bereits seit Viertel nach sieben im Büro, hatte sich kurz mit Berger unterhalten und anschließend ein paar Notizen für die anstehende Besprechung gemacht. Um halb acht waren alle vollzählig versammelt, auch Maite Sörensen, achtundzwanzig Jahre alt, seit Anfang des Jahres bei der Abteilung für Organisierte Kriminalität, Menschenhandel und Prostitution. Sie hatte die Polizeischule in Hamburg besucht, zwei Jahre in Kiel gearbeitet, bis sie ihrem Bruder nach Frankfurt folgte, der in einer Großbank tätig war. Sie war knapp einssiebzig groß, schlank, hatte halblange mittelbraune Haare und braune Augen und machte einen sehr selbstsicheren und aufgeschlossenen Eindruck. Sie ist geradezu prädestiniert für die Aufgabe auf dem Reiterhof, dachte Durant, behielt aber vorerst ihre Gedanken für sich. Sie begrüßte sie, stellte ihre Kollegen vor und sagte, ihr geplanter Einsatz werde als Letztes besprochen.
Nachdem sich alle bis auf Hellmer gesetzt hatten, der lieber am Fenster stehen blieb, erklärte Durant in knappen
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