Kaltes Blut
dieses Mädchen hat gelogen.«
»Aber die Vergewaltigung hat er begangen?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte sie und neigte den Kopf ein wenig zur Seite, als hätte sie den seltsamen Unterton in Durants Stimme gehört. »Er hat’s doch zugegeben und wurde verurteilt. Oder bestehen da etwa auch Zweifel?«
»Nein, nein, entschuldigen Sie, es war dumm, diese Frage überhaupt gestellt zu haben.«
»Nein, es war nicht dumm, denn Sie zweifeln selbst daran«, sagte sie vielsagend lächelnd, und Durant ärgerte sich, so leicht von ihr durchschaut worden zu sein. Sie konnte offenbar nicht nur mit Pferden hervorragend umgehen, sie konnte auch die Zwischentöne genau deuten. »Ich habe mich damals schon gefragt, ob er die Vergewaltigung begangen hat. Aber Ihre Frage hat mich in meinem Gefühl bestätigt. Meine erste Vermutung damals war, er hat’s nicht getan. Und fragen Sie mich jetzt nicht, woher diese Vermutung kam. Dann hat er’s aber zugegeben, und ich habe mir nur gesagt, okay, Sonja, du hast Unrecht gehabt. Doch jetzt zweifle ich wieder. Aber ganz gleich, was Mischner auch verbrochen hat, ober überhaupt etwas verbrochen hat, es ändert nichts an meiner Meinung, dass er der beste Pferdepfleger war, den ich je kannte. Der, der jetzt auf dem Hof ist, ist nur ein Stallbursche. Er säubert die Boxen, striegelt die Pferde, gibt ihnen zu fressen, doch damit hat sich’s auch schon. Die Chemie zwischen ihm und den Tieren stimmt einfach nicht. Aber Emily, ich meine Frau Gerber, hält unbeirrt an ihm fest, und ihr gehört der Hof schließlich. Ich an ihrer Stelle hätte mir schon längst einen neuen gesucht. Aber das ist nicht mein Problem. Mischner hingegen war mehr als nur ein Stallbursche, er hat sich um die Tiere gekümmert. Sie waren für ihn Wesen mit menschlichen Zügen.«
»Frau Kaufmann, Sie haben uns sehr geholfen, und wir werden nachher noch mal vorbeischauen und mit Ihrem Mann sprechen.«
»Ich weiß zwar nicht, inwiefern ich Ihnen geholfen habe, aber vielleicht verraten Sie’s mir irgendwann. Auf Wiedersehen.«
»Wir wollten noch bei Frau Malkow vorbeischauen. Meinen Sie, wir treffen Sie zu Hause an?«
Sonja Kaufmann warf einen Blick auf die Uhr und sagte: »Um diese Zeit müsste sie eigentlich zu Hause sein. Sie fährt meist erst am Nachmittag auf den Hof.«
»Danke.«
Auf dem Weg zum Auto fragte Hellmer: »Was hältst du von ihr?«
»Sie ist schwer zu durchschauen. Was mich aber wundert, ist, wie unterschiedlich die Aussagen von ihr und der Gerber über Mischner sind. Was für ein Typ war er wirklich? Die Kaufmann hält große Stücke auf ihn, während er für die Gerber nur ein Stallbursche war.«
»Fragen wir einfach die Malkow, die Dritte im Bunde. Moment«, sagte er und sah auf seinen Zettel, bevor sie in den Wagen stiegen, »Siegfriedring. Das ist in Eddersheim. Schaun wir doch mal.«
Montag, 12.05 Uhr
Sie hielten hinter einem dunkelblauen Jaguar neueren Baujahrs. Das Haus der Malkows fügte sich nahtlos in eine Reihe von außen eher unscheinbaren Häusern ein, doch es war mit diesen Häusern wie mit teuren Kleidern, die oftmals vor allem durch ihre Schlichtheit bestachen und für die man ein Vermögen hinblättern musste. Über der Tür eine Überwachungskamera, die Durant bei den Kaufmanns nicht aufgefallen war, die aber sicherlich existierte, die Fenster im Erdgeschoss zusätzlich durch weiße Kunstschmiedegitter vor Einbrechern geschützt. Neben dem Haus, wie auch bei den Kaufmanns, eine Doppelgarage.
Hellmer betätigte die Klingel, ein Mann kam heraus und begutachtete die Fremden argwöhnisch. Er trug ein blaues, kurzärmliges Hemd, eine Canvashose und Slipper, als befände er sich gerade auf dem Sprung. Durant wusste zwar von Gerber, wie alt Malkow war, sie hätte ihn jedoch wesentlich jünger geschätzt.
»Ja, bitte?«, fragte er nicht unfreundlich, doch reserviert und kam ans Tor.
Hellmer stellte sich und Durant vor, das eben noch misstrauische Gesicht von Werner Malkow hellte sich auf.
»Sie kommen also doch noch zu uns«, sagte er und bat die Kommissare ins Haus. »Sie wollen sicher mit meiner Frau sprechen.«
»Mit Ihrer Frau und auch mit Ihnen.«
»Meine Frau ist im Garten, ich hole sie. Suchen Sie sich einen Platz aus, ich bin gleich zurück.«
Nach wenigen Augenblicken kam er mit Helena Malkow ins Zimmer, eine mittelgroße, wohlproportionierte Frau von etwa vierzig Jahren. Sie hatte schmale, blutleere Lippen, herbe Gesichtszüge mit ausgeprägten Wangenknochen und
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