Kaltes Blut
Kartei, bis sie die Telefonnummer gefunden hatte, schrieb sie auf einen Zettel und reichte ihn Durant. »Das mit dem Nicht-anmerken-Lassen ist leichter gesagt als getan«,erwiderte sie mit einem gequälten Lächeln. »Ich probier’s trotzdem.
»Wir sehen uns.«
Von unterwegs riefen sie bei Nathalie an. Ihre Mutter sagte, sie sei über Handy zu erreichen, doch auch Nathalie hatte keine Idee, wo Miriam sein könnte.
Auf der Fahrt zurück nach Frankfurt sagte Hellmer: »Die Gerber war ganz schön fertig.«
»Ist das vielleicht ein Wunder?! Die denkt doch das Gleiche wie wir, nämlich dass Miriam in den Händen unseres Wahnsinnigen ist. Wenn wir nur wenigstens einen winzigen Anhaltspunkt hätten! Aber nichts, aber auch rein gar nichts! Er muss doch irgendwann mal einen Fehler machen.«
»Er macht einen, verlass dich drauf.«
»Sicher, nur wann?«
»Vielleicht schon eher, als du denkst. Dieser Drecksack fühlt sich so unglaublich sicher. Und das ist immer der Anfang vom Ende. Nur, er weiß es noch nicht. Es könnte ja auch sein, dass wir sogar schon das Vergnügen mit ihm hatten.«
»Du spinnst! Wer soll’s denn sein? Kaufmann, Malkow oder doch Gerber? Oder vielleicht sogar der Pastor? Nee, Frank, keiner von denen. Lass uns mal kurz an einer Imbissbude halten, ich hab seit dem Frühstück nichts mehr in den Magen gekriegt. Danach kann ich vielleicht auch wieder klarer denken. Ich kann nur hoffen, dass ich heute Abend nicht versetzt werde.«
»Wirst du nicht.«
»Du bist auf einmal so verdammt selbstsicher. Wie kommt das?«
»Keine Ahnung. Macht wohl dein Einfluss«, erwiderte er grinsend.
Sie hielten an einem Imbiss, aßen jeder eine Currywurst und tranken ein kleines Bier. Julia Durant fühlte sich danach besser und gestärkt für die kommenden Stunden.
Montag, 18.35 Uhr
Polizeipräsidium. Die Soko Selina arbeitete auf Hochtouren, insgesamt waren ihr dreißig Beamte zugeteilt worden, darunter sechs Männer und Frauen von der Spurensicherung, die mit der Auswertung begonnen hatten – gefundene Zigarettenkippen wurden untersucht, Flaschen, Dosen, auch Kondome und Müll jeglicher Art –, der Fotograf, Prof. Bock von der Rechtsmedizin, acht Beamte, die im Präsidium hauptsächlich mit Aktenarbeit beschäftigt waren, fünf Männer und zwei Frauen, die weitere kriminaltechnische Untersuchungen an den Fundorten der bisherigen beiden Opfer vornahmen, die sich noch über einige Tage erstrecken und jetzt auch die Wohnung von Marianne Tschierke mit einschließen würden. Eine Sisyphusarbeit, um die Durant diese Kollegen nicht beneidete. Aber nicht selten hatte ein nur winziges Detail, dem kein Normalsterblicher Beachtung schenken würde, schon zur Ermittlung und Verhaftung eines Straftäters geführt, zum Beispiel der nur unter dem Elektronenmikroskop noch auszumachende Restspeichel an einem Zigarettenstummel oder einer Bier- oder Coladose oder ein gedankenlos weggeworfenes Kondom. Es fanden sich immer Spuren, und bisweilen führte gerade die detektivische Kleinstarbeit zu außergewöhnlichen Fahndungserfolgen. Leiter der Soko war Berger, Durant leitete die Ermittlungen, aber auch Prof. Richter gehörte seit heute zum Team, und vor allem Durant, Hellmer und Co. warteten schon gespannt auf das Persönlichkeitsprofil, das er erstellen würde, auch wenn ihnen klar war, dass es noch Tage dauern konnte, bis er es fertig hatte.
Nachdem Durant und Hellmer eingetroffen waren, gingen sie aus Platzgründen in das Konferenzzimmer. Berger gab einen kurzen Abriss über die bisherigen Ermittlungen, bevor er Durant das Wort erteilte.
»Wie alle wissen, haben wir heute Nachmittag die Leiche von Marianne Tschierke gefunden. Wir glauben nicht an einen Zufall,sondern an einen kaltblütig geplanten und ausgeführten Mord, auch wenn es keinerlei äußere Gewalteinwirkung zu geben scheint. Außerdem wäre das des Zufalls ein wenig zu viel – erst Selina Kautz, dann Gerhard Mischner und nur zwei Tage später eben genannte Marianne Tschierke. Gibt es schon eine Rückmeldung von Bock?«
»Ja«, sagte Berger, »er hat die Leiche untersucht und tatsächlich keine Fremdeinwirkung feststellen können, auch kein Sperma, das auf einen möglichen sexuellen Kontakt vor ihrem Ableben hinweisen könnte. Aus seiner Sicht besteht kein Zweifel an Suizid, aber unsere emsigen Laborratten haben etwas Erstaunliches herausgefunden, nämlich dass es an dem Fläschchen mit dem Zyankali einzig und allein die Fingerabdrücke von Frau Tschierke gibt.
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