Kaltes Blut
Das heißt, niemand außer ihr hat die Flasche angerührt, was sehr ungewöhnlich ist. Sie muss sich das Zeug schließlich irgendwo besorgt haben und hat bestimmt nicht vorher die Flasche abgewaschen, wenn sie Selbstmord begehen wollte, denn dann wäre es ihr völlig egal gewesen, ob außer ihren noch andere Fingerabdrücke drauf sind. Das lässt zumindest vermuten, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handelt.«
»Sie hatte keinen Geschlechtsverkehr, aber das will nichts heißen«, murmelte Durant. »Vorausgesetzt, es handelt sich um Mord, dann hat sie sich doch für jemanden so zurechtgemacht. Dann könnte es also sein, dass der Täter die Flasche abgewaschen und sie ihr unmittelbar nach Eintritt des Todes in die Hand gedrückt hat, damit auch ihre Fingerabdrücke drauf sind. So könnte es zumindest gewesen sein … Wie lange wird die Spurensicherung noch in der Wohnung bleiben?«
»Es wird alles auf den Kopf gestellt. Vor morgen Nachmittag oder Abend sind die Kollegen mit Sicherheit nicht fertig. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Wohnung von Herrn Mischner. Die Hausbewohner dort wurden alle befragt, aber keiner hat auch nur das Geringste bemerkt, was auch nicht anders zu erwarten war. Die Befragung der Bewohner im Südring wird allerdings nocheine Weile in Anspruch nehmen, vier Beamte sind momentan vor Ort, um das zu erledigen. Haben Sie etwas von der Tochter gehört?«
Durant schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist verschwunden, und ich habe ehrlich gesagt auch keine Hoffnung, sie lebend wiederzufinden … Peter, Doris, was hat Weiterstadt ergeben?«
Kullmer lehnte sich zurück, gähnte und sagte dann: »Höchst Erstaunliches. Mischner hatte zwei Kumpel, denen er mehrmals erzählt hat, er habe die Vergewaltigung nicht begangen, sondern sei für jemand anderen in den Bau gewandert …«
»Sag ich’s doch!«, entfuhr es Durant triumphierend. »Meine Vermutung. Aber mach weiter.«
»Er hat allerdings zu keiner Zeit einen Namen genannt, er hat nur gesagt, es würde sich um einen guten Freund handeln und er würde eine Menge Geld dafür kassieren. Aber dieser Freund hat keinen Namen. Mischner hat jedoch während seiner Zeit im Knast des Öfteren großzügige Geschenke erhalten, einen Fernseher, ein Radio, er ist regelmäßig mit Zigaretten versorgt worden und hat sogar Geld bekommen. Aber keiner weiß, woher das Zeug stammt. Alle Geschenke und Zuwendungen gingen per Post an ihn, auf dem Absender stand immer Hans Schmidt …«
»Sehr originell«, bemerkte einer der Beamten ironisch.
»Und die Aufseher sind nicht misstrauisch geworden?«, fragte Durant.
»Nee, ganz einfach aus dem Grund nicht, weil Mischner ja kein Schwerverbrecher war. Hätte er wegen Mord gesessen, wäre es was anderes gewesen. Aber so … Wir haben natürlich auch die Aufseher befragt, die gerade Dienst hatten, und die meinen, dass Mischner sich während seines Aufenthalts dort vorbildlich verhalten hat. Er hat, und das hat uns gewundert, sehr viel in der Bibel gelesen und auch eifrig am Gottesdienst teilgenommen …«
»Nein«, warf Durant ein, »das verwundert mich gar nicht. Wir haben vorhin mit dem Pastor der evangelischen Kirche in Okriftelgesprochen, der Mischner recht gut kannte, und er behauptet, Mischner habe Gott gesucht. Es passt schon ins Bild.«
»Dann hat er ihn jetzt wohl gefunden«, bemerkte Kullmer sarkastisch. »Na gut, wenn du meinst. Den beiden Mitgefangenen hat er übrigens bei seiner Entlassung den Fernseher und einige andere Sachen geschenkt und dabei gesagt, er brauche das nicht mehr, wenn er draußen wäre, würde er, und jetzt wörtlich ›eine geile Bude in Hofheim bekommen‹. Wir haben logischerweise auch andere Häftlinge befragt, aber Mischner hatte in der ganzen Zeit ausschließlich Kontakt zu diesen beiden, die auch noch eine Weile einsitzen müssen. Mehr gibt es aus Weiterstadt nicht zu berichten.
Und jetzt zu heute Nachmittag. Wir hatten ja eine Verabredung mit seinem Bewährungshelfer, und ich kann euch sagen, und Doris kann das bestätigen, dieser Typ ist ein echtes Arschloch, sorry, aber was anderes fällt mir dazu nicht ein. Ich weiß zwar nicht, was der unter Bewährungshilfe versteht, aber er konnte uns zum Beispiel nicht konkret sagen, wie Mischner sich die Wohnung mitsamt Einrichtung leisten konnte. Wir haben ihn gefragt, ob Mischner arbeiten gegangen ist oder sich schwarz etwas dazuverdient hat, aber er konnte oder wollte es uns nicht sagen. Als ich dann ein bisschen härter geworden bin,
Weitere Kostenlose Bücher