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Kaltes Blut

Kaltes Blut

Titel: Kaltes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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und ihn wohl versucht hat zu erpressen, dann bleiben drei weibliche Personen übrig. Aber die Frau passt überhaupt nicht ins Schema. Und das bereitet mir Kopfzerbrechen.«
    Ein junger Beamter, den Durant vom SEK kannte, meldete sich zu Wort: »Und wieso glauben Sie nicht, dass Frau Tschierke sich selbst umgebracht hat?«
    »Es sprechen zu viele Indizien dagegen. Erstens hat sie mir gestern noch gesagt, ihre Tochter würde am Abend kommen und in den Ferien bis in die Puppen schlafen. Die Tochter war aber nicht zu Hause, ihr Bett war unberührt. Zweitens, Frau Gerber hat vorhin gesagt, Frau Tschierke hätte ihrer Tochter so etwas niemals angetan, dazu hat sie sie viel zu sehr geliebt. Und drittens, es gibt keinen Abschiedsbrief. Eine Mutter, die ihre Tochter über alles liebt, würde wenigstens ein paar Zeilen hinterlassen. Dazu kommt, dass Frau Tschierke drei Arbeitsstellen hatte, zwei bei Ärzten, eine beim Gesundheitsamt, bei welchem, kann ich nicht sagen. Aber Dr. Gerber könnte wissen, wo sie gearbeitet hat. Diese Ärzte müssen am besten gleich morgen befragt werden, ich will genau wissen, was für eine Frau sie war, am liebsten wäre mir eine Vita. Peter und Doris, ihr beide übernehmt das bitte. Und wenn ihr noch Zeit habt, fahrt noch mal in den Südring und tretet dem Hausverwalter oder Hausmeister oder was immer er ist auf die Füße, ihr wisst schon, warum.«
    »Gebongt.«
    »So, wenn’s weiter nichts gibt, ich habe gerade mal noch zweieinhalb Stunden, bis ich wieder in Okriftel sein muss. Morgen früh sehen wir uns nicht, weil ich mich gleich von zu Hause aus auf den Weg nach Hattersheim machen werde. Ich melde mich trotzdem im Laufe des Vormittags.«
    Sie nahm ihre Tasche und verließ den Raum. Sie war allein auf dem dunklen Gang in diesem alten Gebäude, in dem sie nicht mehr lange sein würde. Keine von den Wänden widerhallenden Schritte, kein im Sommer unerträglich heißes und doch gemütlichesBüro, alles steril und nach dem modernsten Standard ausgestattet. Noch ein paar Monate bis zum Umzug ins neue Präsidium. Ein Präsidium, das schon jetzt bei den meisten Kollegen unbeliebt war. Eine totale Fehlplanung, eine unpersönliche Arbeitsatmosphäre, sie hatte schon einmal einen Blick in die Büros werfen dürfen, ein Mangel an Parkplätzen für die Mitarbeiter. Ihr graute vor dem Tag, an dem sie ihr vertrautes und geliebtes Büro verlassen musste. Zum Glück war sie nicht allein in ihrem Abschiedsschmerz, der spätestens an dem Tag kam, wenn sie die Schreibtische leer räumen und den Inhalt in Kisten verstauen würden. Wehmut überfiel sie, wenn sie an die vergangenen Jahre zurückdachte. Sie würde ihr Büro vermissen, aber auch bestimmte Spuren an den Wänden, die wie Markierungen waren. Blutspuren, zum Teil Jahrzehnte alt, die nie jemand weggemacht hatte. Jede einzelne Stufe konnte unendlich viele Geschichten erzählen, jeder Zentimeter der Geländer, der Flure, der Türen. Sie ging langsam die Treppe hinunter, ihr Blick blieb an einem markanten roten Streifen an der Wand hängen. Sie musste grinsen, denn sie wusste, woher er stammte. Es war einer ihrer ersten Einsätze in Frankfurt gewesen, als sie noch bei der Sitte war und sie einen Zuhälter festgenommen hatten, der sich eine wüste Schlägerei mit gleich drei Beamten geliefert hatte, bevor man ihm Handschellen anlegen konnte. Sie hatten ihn fast die Treppe hochschleifen müssen, und sein blutverschmiertes Gesicht hatte dabei diesen Teil der Wand berührt. Erinnerungen.

Montag, 19.15 Uhr
    Emily Gerber saß seit über einer Stunde mit Maite Sörensen im Restaurant, sie tranken Wein und hatten sich jeder einen großen Salat bestellt, den sie in aller Ruhe verzehrt hatten. Die Unterhaltung plätscherte vor sich hin, Emily Gerber hatte immer wieder Mühe, dem zu folgen, was Maite Sörensen ihr erzählte.Mit ihren Gedanken war sie weit weg, sie fühlte Trauer in sich, aber auch Wut, Ohnmacht und Zorn. Und Mitleid mit den Opfern. Sie hätte gerne mit jemandem darüber gesprochen, aber sie musste noch mindestens eine Stunde auf dem Hof bleiben, bevor sie nach Hause fahren und ihrem Mann die Nachricht vom Tod von Marianne Tschierke überbringen und sich bei ihm ausheulen konnte. Dazu kam die Ungewissheit, was mit Miriam war. Wo sie war, ob sie überhaupt noch lebte.
    »Frau Gerber«, sagte Maite Sörensen schließlich und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, »ich muss mich leider verabschieden, ich habe noch eine Verabredung. Aber ganz herzlichen

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