Kaltes Blut
Marianne Tschierke. Beide Ärzte beschreiben sie als freundlich, hilfsbereit und absolut zuverlässig. Im Gesundheitsamt, wo sie angeblich auch noch gearbeitet hat, kennt sie aber keiner. Sie ist seit der Scheidung keine feste Beziehung mehr eingegangen, allerdings hat eine Kollegin von ihr uns im Vertrauen mitgeteilt, sie habe ihr während der letzten Weihnachtsfeier, nachdem alle schon reichlich getrunken hatten, erzählt, dass sie mal wieder einen Typen aufgerissen habe. Die andere hat natürlich weitergebohrt, ihr wisst ja, wie Frauen sind«, meinte er grinsend, »und dabei ist rausgekommen, dass die Tschierke häufig wechselnde Männerbekanntschaften hatte und sich wohl auch für ihre Dienste bezahlen ließ. Denn von ihren Gehältern hätte sie sich die Wohnung nie leisten können, die Miete schon, aber allein der Wohnzimmerschrank ist reine Eiche, das Schlafzimmer eine Maßanfertigung. Sie hat aber insgesamt nur eintausenddreihundert netto verdient, ihr Ex hat zweihundertfünfzig für Miriam gezahlt, und das reicht nie und nimmer für eine solche Einrichtung. Also war sie doch nicht die bittere, verhärmte Frau Tschierke.«
»Das mit der Einrichtung ist mir gar nicht aufgefallen«, sagte Durant.
»Schlichtheit fällt nicht immer auf. Aber bei der Wohnungsdurchsuchung gestern sind Kaufbelege aufgetaucht, ich hab sie mir heute morgen angeguckt. Die Wohnzimmereinrichtung hat sie vor anderthalb Jahren gekauft, für knapp zwanzigtausend Mark, etwas mehr als zehntausend Euro. Das Schlafzimmer etwa zur gleichen Zeit, fast dreißigtausend Mark. Außerdem wurden Kontoauszüge gefunden. Sie hatte zuletzt ein Guthaben von über neuntausend Euro. So, und jetzt kommt’s. Nachdem wir noch ein bisschen weitergebohrt haben, hat die Arzthelferin behauptet, ihr Chef sei regelmäßiger Kunde bei der Tschierke gewesen. Sie hat alsozweimal von ihm kassiert, einmal als Sprechstundenhilfe und einmal als käufliche Dame, um es höflich zu formulieren. Es könnte demnach auch sein, dass sie von einem ihrer Freier umgebracht wurde.«
»Nee, halte ich für ausgeschlossen«, warf Durant ein. »Mutter und Tochter werden nicht an ein und demselben Tag von zwei verschiedenen Tätern umgebracht. Außerdem, wäre es ein Freier gewesen, hätte er mit Sicherheit vorher oder sogar nachher mit ihr geschlafen. Die Morde gehen auf das Konto von nur einem Mann, und zwar einem, den sowohl die Mutter als auch die Tochter sehr gut kannten und vor dem die Tschierke keine Angst hatte, ganz im Gegenteil. Sie hat sich extra für ihn so zurechtgemacht. Hier«, sagte Durant und reichte Kullmer die Akte. Doris Seidel war inzwischen ebenfalls ins Büro gekommen und las mit.
Kullmer schüttelte nur wortlos den Kopf und legte die Akte auf den Tisch. »Was heißt das jetzt?«
»Das heißt, dass unser Mann noch ausgebuffter ist, als wir dachten. Was ist mit dem Bericht von Bock?«
»Liegt vor Ihnen«, antwortete Berger.
»Siebenundsiebzig Einstiche, wie bei Selina«, sagte Durant leise mehr zu sich selbst. »Gewaschen, desinfiziert, gekämmt. Leichte Hämatome an den Hand- und Fußgelenken und der Stirn, vermutlich mit Lederriemen fixiert. Keine Spermaspuren, kein Geschlechtsverkehr vor dem Tod. Geringe Alkoholkonzentration im Blut. Vor dem Tod betäubt, einmal mit Chloroform und dann noch mit einem intravenös gespritzten Beruhigungsmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine.« Sie hielt den Bericht in der Hand und sah in die Runde. »Bis auf den Alkohol alles wie bei Selina. Ich muss Richter anrufen.« Durant griff zum Telefon. »Der soll sich mit dem Profil beeilen.«
Sie tippte die Nummer ein und wartete.
»Hier Durant. Ich habe zwar keine Ahnung, woher Sie das mit der Unterwäsche wussten, aber man hat Spermaspuren entdeckt. Sie stammen von Mischner.«
Richter schien nicht sonderlich überrascht. »Das passt zum Profil …«
Durant unterbrach ihn. »Sind Sie etwa schon fertig?«
»Nein, ich habe mir nur Notizen gemacht …«
»Reichen die aus, um schon ein einigermaßen klares Bild zu bekommen?«
»Eigentlich brauche ich noch mindestens einen Tag, wenn nicht gar zwei …«
»Tun Sie mir einen Gefallen, kommen Sie ins Präsidium und erzählen Sie, was Sie bis jetzt haben. Der Bericht der Rechtsmedizin über Miriam Tschierke ist übrigens ziemlich identisch mit dem von Selina Kautz. Was ist, können Sie kommen?«
»Heute? Ich hatte eigentlich nicht vor …«
»Bitte! Uns läuft die Zeit davon.«
»Also gut, geben Sie mir eine Stunde. Aber es ist
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