Kaltes Blut
ein?«
»Sicher. Aber das ist jetzt das geringste Problem. Ich habe Miriam wirklich gemocht. Und nun ist sie tot. Und ich habe ihre Mutter überredet, dass sie mit nach Frankreich fahren darf. Diese verfluchte Fahrt! Warum hab ich das nur getan? Verdammt, verdammt, verdammt!« Sie weinte und lehnte ihren Kopf an Emilys Brust.
»Es war nicht deine Schuld. Wer hätte denn ahnen können, dass so was passiert. Keiner von uns. Meinst du, es trifft mich nicht? Wenn, dann haben wir alle Schuld. Aber wir haben sie nicht umgebracht, wir haben niemanden getötet, hörst du! Wir sind keine Mörder.«
»Ich habe vorhin mit Helena gesprochen, ich habe es zumindest versucht, doch sie ist so verdammt stur!«, sagte Sonja mit tränenerstickter Stimme. »Sie will weitermachen, immer weitermachen. Sprich du mit ihr, vielleicht hört sie auf dich.«
»Ich werde es versuchen, aber wenn du es nicht geschafft hast …«
»Tu’s, bitte! Und wenn sie nicht einsichtig ist, bring ich sie eigenhändig um, das schwöre ich dir.«
»Komm, red nicht so einen Blödsinn. Ich werde ihr von meinem kleinen Gespräch mit Frau Durant berichten und ihr erklären, dass sie sich strafbar macht, wenn sie weiterhin mit Minderjährigen ihre Spielchen treibt. Mal sehen, was sie dazu sagt. Und jetzt wasch dir das Gesicht, fahr nach Hause und ruh dich aus.«
»Ich muss sowieso heim.«
»Sonja, ich …«
»Ja?«
»Nichts. Geh dich frisch machen.«
Sonja Kaufmann stand auf, ging auf die Toilette, der Wasserhahn lief eine ganze Weile, während Emily aus dem Fenster auf den Hof sah, wo Maite Sörensen ihr Pferd sattelte. Sie musste unwillkürlich lächeln. Eine Polizistin, die sich als Kunstexpertin ausgab. Sie würde sie spaßeshalber auf die Probe stellen, ihr den Constable zeigen und ihre Expertenmeinung dazu einholen.
Sie hörte Sonja Kaufmann nicht kommen, sie war zu sehr in Gedanken versunken, spürte nur die sanfte Hand auf ihrer Schulter.
»Es war richtig, was du gemacht hast«, sagte Sonja mit einem versuchten Lächeln. »Ich hätte wahrscheinlich nicht den Mut dazu aufgebracht. Ich bewundere dich dafür. Komm, lass dich umarmen.«
Sie drückten sich fest aneinander, streichelten sich gegenseitig übers Gesicht, zum Abschluss gab Sonja ihr einen langen, intensiven Kuss, der Emily nicht unangenehm war. Sonjas Lippen fühlten sich weich und zart an, ihre Zungen spielten für einen Moment miteinander. »Ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt.«
»Sonja …«
»Ja?«
»Nichts. Wir reden ein andermal drüber. Achim wartet auf dich. Bis morgen.«
»Bis morgen.« Und als sie bereits an der Tür war: »Ich hätte nie gedacht, eine Frau so lieben zu können wie dich. Warum haben wir erst vor einem Jahr damit angefangen?«
»Wir haben auch schon wieder damit aufgehört. Andreas ist für mich der wichtigste Mensch in meinem Leben. Er weiß übrigens auch über alles Bescheid, wir hatten ein sehr langes Gespräch. Du brauchst aber keine Angst zu haben, du kennst ihn, er behält es für sich. Und ich habe es ihm erzählt, weil ich ihn und nur ihn liebe. Es tut mir Leid.«
»Das macht nichts. Ich liebe dich trotzdem. Und vergiss nicht, mit Helena zu sprechen.«
Emily Gerber sah ihr irritiert nach, wie sie zu ihrem Auto ging und davonfuhr. Sie nahm den Telefonhörer von der Gabel und tippte die Nummer von Helena ein. Nur ihr Mann war zu Hause. Er sagte, sie sei in die Stadt gefahren und er wisse nicht, wann sie zurück sei, weil sie sich noch mit einer Freundin treffe. Mit einer Freundin! Emily Gerber rollte mit den Augen und legte wiederauf. Sie wartete noch einige Sekunden, bevor sie ihr Pferd aus dem Stall holte, um mit Maite Sörensen auszureiten.
Dienstag, 15.00 Uhr
Praxis Dr. Gerber.
»Hallo, komm rein. Wo drückt der Schuh?«
»Praktisch überall. Ich habe in letzter Zeit ständig Kopfschmerzen, und mir ist auch andauernd übel.«
»Hört sich wie Migräne an«, konstatierte Gerber, kam hinter seinem Schreibtisch hervor und setzte sich vor seinen Patienten. »Hast du auch Schwindelgefühle, Zittern, Schlaflosigkeit, werden die Schmerzen schlimmer bei Licht?«
»Kann ich nicht genau sagen, aber ich glaub schon.«
»Wann warst du das letzte Mal hier? Moment«, er drehte die Karteikarte, »das ist fast ein halbes Jahr her. Wir sollten mal einen Routinecheck durchführen. Nur zur Absicherung. Lass mich mal deine Hände sehen.« Er warf einen langen Blick auf die Handinnenflächen und sagte: »Deine Handlinien haben sich
Weitere Kostenlose Bücher