Kaltes Blut
nicht auf dem Hof, als ich dort war.«
Gerber überlegte, drückte seine Frau an sich und streichelte ihr übers Haar. »Es war gut, dass du nicht gelogen hast. Die Wahrheit wäre früher oder später sowieso ans Licht gekommen. Und es ist immer besser, die Wahrheit zu sagen. Du hast richtig gehandelt. Und jetzt essen wir, ich habe einen Bärenhunger.« Er stand auf und sah Emily an. »Weißt du eigentlich, dass ich mich noch einmal in dich verliebt habe? Ich habe mich am Donnerstagabend noch einmal in dich verliebt. Und ich möchte dich nie verlieren.«
»Du verlierst mich nicht. Ich habe viel mehr Angst, dass du …«
»Niemals, hörst du. Wir sind wie eineiige Zwillinge, nur mit dem kleinen Unterschied, dass wir im Abstand von dreizehn Jahren geboren wurden. Und jetzt komm. Und nach dem Essen und wenn die Kinder im Bett sind, machen wir uns einen gemütlichen Abend.«
»Ich muss andauernd an Selina und Miriam denken«, sagte Emily und erhob sich ebenfalls. »Was sie wohl durchgemacht haben?«
»Das werden wir nie erfahren. Und ich will es auch gar nicht wissen.«
Emily bat die Mädchen, den Fernsehapparat auszustellen und zum Essen zu kommen. Sie überlegte, ob sie später Helena anrufenund sie warnen sollte, wie die Kommissarin gesagt hatte. Vielleicht würde sie es heute tun, vielleicht auch erst morgen, wenn sie sich auf dem Hof sahen. Nach dem Essen räumte sie den Tisch ab und stellte das Geschirr in die Spülmaschine. Es war fast halb neun, als sie die Kinder ins Bett brachte, erst Pauline, dann Celeste, blieb bei jeder noch einige Minuten sitzen und sprach mit ihnen. Sie gab ihnen einen Kuss und umarmte sie zärtlich, bevor sie die Tür anlehnte, die Mädchen waren das so gewohnt.
Andreas Gerber hatte sich auf die Terrasse gesetzt, Emily kam zu ihm. Sie unterhielten sich, vermieden aber ein bestimmtes Thema. Der erste Schritt zurück zur Normalität. Um viertel nach zehn ging Emily zum Telefon und tippte die Nummer von Helena ein. Der Anrufbeantworter. Sie versuchte es auf ihrem Handy, nur die Mailbox. Sie legte den Hörer wieder auf und machte ein nachdenkliches Gesicht. Helena geht doch sonst immer ran, dachte sie. Und dienstags ist sie doch meist … Ich werde Sonja anrufen. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie sich mit verschlafener Stimme meldete.
»Sonja, ich bin’s. Hab ich dich etwa aus dem Bett geholt?«
»Ja«, sagte Sonja gähnend. »Was gibt’s denn?«
»Weißt du, wo Helena ist?«
»Keine Ahnung, ich hab sie seit heute Mittag nicht gesehen. Vielleicht ist sie mit Werner unterwegs.«
»Dienstags?«, sagte sie zweifelnd. »Dienstags macht sie doch immer was anderes. Aber gut …«
»Emily, warte noch. Das vorhin im Büro, ich wollte dich damit nicht verletzen. Aber ich kann nichts gegen meine Gefühle tun. Ich hoffe, du bist mir nicht böse.«
»Quatsch. Ich hab dich doch auch lieb«, flüsterte Emily. »Wir sprechen ein andermal drüber, ich kann jetzt nicht. Geh wieder schlafen. Ciao.«
Sie kehrte zu ihrem Mann zurück, der im Liegestuhl eingeschlafen war, streichelte ihm übers Gesicht und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. Er zuckte zusammen.
»Entschuldigung, ich bin schon wieder eingeschlafen.«
»Macht nichts. Ich habe eben versucht Helena zu erreichen. Sie meldet sich nicht.«
»Ja und?«
»Sie hat sonst nie ihr Handy ausgeschaltet.«
»Machst du dir Sorgen?«
»Nach dem, was Frau Durant heute gesagt hat …«
»Versuch’s einfach nachher noch mal. Hast du es auch in ihrem anderen Haus probiert?«
»Ich hab die Nummer nicht. Und Werner ist auch nicht erreichbar.«
»Vielleicht schläft sie schon.«
»Unwahrscheinlich. Die geht selten vor elf ins Bett. Und jetzt im Sommer …«
»Komm her und entspann dich. Du probierst es um elf noch mal und wenn du dann immer noch unruhig bist, fährst du erst zu ihr nach Hause, und sollte sie dort nicht sein, dann fährst du eben auch noch in das andere Haus.«
»Kannst du nicht mitkommen. Ich meine, falls …«
Er schüttelte den Kopf. »Emily, offiziell weiß ich von alldem nichts. Ich möchte, dass ihr das unter euch ausmacht. Ich meine das nicht böse, aber ich habe nicht das Recht, mich da einzumischen. Und Helena mag mich sowieso nicht sonderlich. Nimm Sonja mit. Ich geh jetzt duschen und dann ins Bett. Die letzten Tage waren sehr strapaziös. Aber du kannst mich ruhig wecken, sollte irgendwas sein. Du kannst mich aber auch wecken, wenn nichts ist.«
»Okay«, sagte sie und schenkte sich ein Glas Orangensaft
Weitere Kostenlose Bücher