Kaltes Blut
da haben Sie doch schon ein Motiv. Erst die Mutter, dann die Tochter. Was aber hat die Tochter gemacht, damit sie so bestraft wurde?«
»Haben Sie nicht gesagt, sie wurde gereinigt?«
»Kompliment, ich sehe, Sie haben mitgedacht. Weder Selina noch Miriam haben etwas getan, wofür sie bestraft werden mussten, sie mussten gereinigt werden oder vielleicht vor dem Übel und der Schlechtigkeit der Welt bewahrt werden, wer weiß. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären, dass nämlich unser Manngroßen Wert auf Reinheit legt. Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen. Gehen Sie die einzelnen Punkte durch und überlegen Sie, auf welchen von den Männern, mit denen Sie bereits gesprochen haben, dieses Profil zutreffen könnte. Aber Vorsicht, er ist mit allen Wassern gewaschen, und es wird nicht leicht für Sie werden, ihn aus der Reserve zu locken. Noch weitere Fragen?«
Schweigen.
Berger stand auf und ging zu Richter, reichte ihm die Hand und bedankte sich im Namen aller Kollegen.
»Schon gut. Tun Sie mir nur einen Gefallen, finden Sie ihn«, sagte er, während er seine Tasche packte. »Er macht sonst immer weiter. Und irgendwann hört er auf und fängt wieder an, wenn Sie nicht mehr damit rechnen. Auf Wiedersehen und viel Erfolg. Und die Rechnung schicke ich Ihnen in den nächsten Tagen«, fügte er im Hinausgehen grinsend hinzu.
»Sie haben es gehört, werte Damen und Herren. An die Arbeit. Frau Durant, ich möchte Sie, Herrn Hellmer, Herrn Kullmer und Frau Seidel in meinem Büro sprechen.«
»Was will er denn jetzt noch?«, fragte Hellmer.
»Du wirst es gleich erfahren.«
Sie folgten Berger und machten die Tür hinter sich zu. Berger saß bereits an seinem Schreibtisch.
»Haben Sie schon mit jemandem zu tun gehabt, wie Richter ihn beschrieben hat?«
»Wir müssen erst die einzelnen Punkte genau auflisten und dann versuchen, sie bestimmten Personen zuzuordnen. Im Moment fällt mir noch keiner ein.«
»Dann tun Sie das. Und zwar heute noch.«
»Heute?!« Hellmer schaute auf die Uhr und sagte entrüstet: »Es ist gleich halb neun …«
»Na und? Wollen Sie, dass noch jemand dran glauben muss?«, fragte Berger mit der ihm eigenen Gelassenheit, die einer gewissen Ironie nicht entbehrte. »Na also. Sobald der Fall gelöst ist, gebe ich Ihnen zwei Tage extra frei. Ist das ein Wort?«
»Scheiße! Ich muss Nadine anrufen.«
»Sie wird’s verstehen«, sagte Julia Durant.
»Du hast auch niemanden, der … Tschuldigung, war nicht so gemeint.«
»Vergiss es.«
Durant setzte sich hinter ihren Schreibtisch, die Notizen vor sich. Sie tippte alles in den Computer ein und ordnete die Liste. Es würde eine lange Nacht werden. Sie riefen den Pizzaservice an und begannen mit der Arbeit.
Dienstag, 18.45 Uhr
Emily Gerber hatte das Abendbrot vorbereitet, ihre beiden Töchter saßen vor dem Fernsehapparat und sahen sich ein Zeichentrickvideo an. Seit sie wieder zu Hause war, kreisten ihre Gedanken um das Gespräch mit Durant und das, was im Büro vorgefallen war. Sie fragte sich, ob Sonja das ernst gemeint hatte, als sie sagte, sie liebe sie. Sie hatte das schon oft gesagt, doch Emily hatte es nie wirklich ernst genommen. Nur diesmal war es etwas anderes gewesen, der Kuss, der Blick, die Berührung. Nicht unangenehm, aber Emily konnte und wollte diese ihr entgegengebrachten Gefühle nicht erwidern, so schön sie auch waren. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, und die würde sie nicht mehr rückgängig machen.
Sie hörte, wie ihr Mann den Wagen in die Garage fuhr. Er stellte seine Tasche ab, umarmte Emily und küsste sie.
»Hi, da bin ich«, sagte er. »Wie war dein Tag?«
»Nicht jetzt, lass uns erst essen.«
»So schlimm? Komm, erzähl, die Kinder werden nicht gleich verhungern.« Er nahm sie bei der Hand und zog sie zu sich auf die Couch.
»Frau Durant war heute bei mir. Sie weiß alles.«
»Hast du es ihr gesagt?«
»Sie hat einen Hinweis bekommen, wollte mir aber nicht verraten, von wem. Ich habe auch keine Ahnung, wer es sein könnte. Natürlich habe ich es zugegeben, was hätte ich denn auch anderes machen sollen.«
»Und was passiert jetzt?«
»Nichts, sie hat es mir versprochen. Ich habe ihr gesagt, dass wir nie ein Mädchen zu irgendetwas gezwungen haben, und sie hat es mir geglaubt. Hoffe ich zumindest.«
»Und ich hoffe, sie hält ihr Versprechen. Was sagen eigentlich Sonja und Helena dazu?«
»Sonja war erst entsetzt, hat aber schließlich eingesehen, dass ich keine andere Wahl hatte. Helena war
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