Kaltes Blut
Ich meine, Sie haben angegeben, dass sie bis vor kurzem einen Freund hatte, ein gewisser Dennis Kolb. Was können Sie uns über ihn sagen?«
Peter Kautz zuckte mit den Schultern und sah die Kommissarin an. »Dennis ist ein liebenswürdiger junger Mann. Soweit ich weiß, wurde er bereits von der Polizei befragt. Ich würde ihm allerdings nie zutrauen … Du meine Güte, was rede ich da? Das hört sich ja gerade so an, als ob er ihr etwas angetan hätte!«, sagte er und lachte dabei gequält auf. »Nein, nein, Dennis und Selina waren bis vor zwei oder drei Monaten zusammen, aber Sie wissen doch, wie das bei jungen Leuten so ist. In diesem Alter trifft man noch keine Entscheidungen fürs Leben.«
»Dennis wurde von Beamten der Hattersheimer Polizei befragt«, sagte Hellmer zu Julia Durant. »Die haben aber auch nichts Neues rausgefunden. Und sein Alibi scheint zu stimmen, denn seine Eltern sagen beide, dass er zwischen halb elf und elf zuHause war.« Und an Selinas Eltern gewandt: »Wir werden uns trotzdem noch einmal mit ihm in Verbindung setzen, vor allem, weil er vermutlich der Letzte war, der Selina gestern Abend … gesehen hat.« Er wollte schon »lebend« sagen, verkniff es sich aber im letzten Moment. »Wir hätten jetzt gern noch die Adressen der Freundinnen Ihrer Tochter, um auch sie zu befragen. Und außerdem müssten wir wissen, ob Selina ein Handy hat. Wir könnten versuchen es zu orten.«
»Helga, holst du bitte mal die Adressen?« Und dann: »Nein, sie hat kein Handy. Sie wollte keins. Auch das unterscheidet sie von den meisten anderen jungen Leuten.«
Helga Kautz erhob sich, ging um den Tisch herum und in den ersten Stock.
Als seine Frau aus dem Raum war, sagte er leise: »Jetzt seien Sie bitte ganz ehrlich zu mir. Was denken Sie, wo Selina sein oder was ihr zugestoßen sein könnte? Ich kann die Wahrheit vertragen.«
»Herr Kautz«, antwortete Julia Durant ebenfalls leise, »wie schon gesagt, es gibt im Augenblick keinerlei Anhaltspunkte, was mit Selina ist, wo sie sein könnte, ob sie vielleicht einen Unfall hatte oder …«
»Oder was? Dass sie doch einem Wahnsinnigen in die Hände gefallen ist, der …« Er raufte sich die Haare und schloss die Augen. »Allein die Vorstellung!«
»Rechnen Sie nicht gleich mit dem Schlimmsten. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, sie zu finden.«
»Was ist denn das Schlimmste?«, fragte er, wobei er einen leicht zynischen Unterton nicht verbergen konnte. »Dass sie tot ist? Dass ihr irgendjemand etwas Furchtbares angetan hat? Mein Gott, wenn ich nur daran denke! Meine kleine Selina …«
»Geben Sie die Hoffnung nicht auf«, ließ Durant die Frage unbeantwortet, obwohl eine innere Stimme ihr sagte, dass der Begriff Hoffnung nach dem, was sie bisher über Selina gehört hatte, kaum mehr angebracht war.
Helga Kautz kam wenige Minuten später mit dem privaten Telefonbuchund einem Blatt Papier zurück und schrieb mit fahrigen Bewegungen die Namen, Adressen und Telefonnummern auf.
»Ihre Tochter ist also gestern um fünf mit dem Fahrrad in den Reitclub gefahren. Und sie hat sich da bis um kurz nach zehn aufgehalten, bevor sie sich auf den Weg nach Hause gemacht hat. Zumindest hat sie ihren dortigen Freundinnen gesagt, sie fährt nach Hause. Ihnen aber hat sie gesagt, sie übernachtet bei einer Freundin. Und das ist für uns ein Rätsel, das es zu lösen gilt. Es scheint jemanden zu geben, mit dem sie sich getroffen hat, von dem Sie aber nichts wissen durften.«
Julia Durant machte eine kurze Pause und lehnte sich zurück, die Hände über den Schenkeln gefaltet. »Hat sich Selina in den letzten Tagen oder Wochen Ihnen gegenüber anders als sonst verhalten? War sie vielleicht stiller oder machte sie einen nervösen Eindruck oder war sie öfter weg als normal? Es gibt manchmal kleine Anzeichen, die selbst die besten Eltern nicht zu deuten vermögen, die aber dennoch von großer Wichtigkeit sein können. Ist Ihnen irgendetwas an ihrem Verhalten aufgefallen?«
Helga und Peter Kautz sahen sich kurz an, überlegten und schüttelten die Köpfe. »Nein«, sagte Helga Kautz, die wieder die Hände gefaltet hatte, »Selina war wie immer. Ich hätte sofort gemerkt, wenn etwas nicht stimmt. Vor allem haben wir immer über alles gesprochen. Es gibt in diesem Haus keine Geheimnisse. Als damals die Geschichte mit Dennis zu Ende ging, haben wir darüber geredet. Auch als sie sich von ihrer ehemals besten Freundin Maren immer mehr zurückgezogen hat, hat sie uns
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