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Kaltes Blut

Kaltes Blut

Titel: Kaltes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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schüttelten. Sie hatte ihre Vorstellung vonLiebe und er seine. Und deshalb hatten sie vor sechs Jahren beschlossen, in getrennten Zimmern zu schlafen. Nein, eigentlich stimmte das nicht, sie hatte es beschlossen, er nur eingewilligt. Das Haus war schließlich groß genug, acht Zimmer, drei Bäder, ein ausgebauter Dachboden, ein ausgebauter Keller, in dem sich sein kleines Reich befand, sein Raum, zu dem niemand Zutritt hatte, der immer verschlossen war und zu dem nur er den Schlüssel besaß. Sein Refugium, seine Werkstatt.
    Er begab sich nach unten ins Wohnzimmer, schaltete die Stehlampe neben seinem Ledersessel ein, ging zum Bücherregal, ließ seine Hand über die Buchrücken gleiten und las die Titel, von denen ihm jetzt keiner zusagte, und wandte sich um. Lesen wollte er jetzt doch nicht mehr, stattdessen lieber nur Musik hören. Er betrachtete die CD mit den Stücken von Chopin, interpretiert von Horowitz. Er legte sie ein, setzte sich und wartete noch, denn manchmal, wenn auch sehr selten, kam sie noch mal die Treppe herunter, um ein Glas Milch zu trinken.
    Nach einer Viertelstunde stand er auf und nahm die CD aus dem Spieler. Es war ruhig im Haus. Er ging in den Keller, genau sechs Meter zweiundvierzig von der untersten Stufe bis zur Tür, das hatte er ausgemessen, holte den Schlüssel aus der linken Jeanstasche, steckte ihn in das Sicherheitsschloss und drehte ihn zweimal. Nachdem er eingetreten war, machte er die Tür hinter sich zu und schloss wieder ab. Er betätigte den Lichtschalter, die beiden Neonröhren flackerten auf und tauchten den Raum in ein unnatürlich bläuliches Licht. An der linken Wand ein Bücherschrank, eine Glasvitrine mit festgepinnten exotischen Schmetterlingen, eine Weltkarte, auf der er markiert hatte, wo er schon überall gewesen war. Das breite Kellerfenster war verdunkelt, nicht einmal tagsüber fiel auch nur ein Lichtschein hindurch. Er hatte nichts gegen Tageslicht, nur in diesem Raum hatte es nichts zu suchen. Unter dem Fenster eine breite schwarze Ledercouch, rechts daneben ein Tisch mit einer Bibel darauf, der Goldschnitt kaum noch zu erkennen, zu oft schon hatte er darin gelesen und seine Finger die Seitenberührt. Links neben der Couch eine sündhaft teure Hi-Fi-Anlage. An der anderen Wand, schräg in der Ecke, ein zwei Meter breites Aquarium mit Fischen aus dem Indischen Ozean und der Südsee, etwa fünfzig Zentimeter entfernt ein alter, wuchtiger Schrank, dessen Innenleben nur er kannte – kleine und größere Flaschen und Behälter, medizinisches Besteck, eine Sammlung von Arzneimitteln aus aller Herren Länder. Direkt neben der Tür ein großes Waschbecken und ein Kühlschrank mit einem Vier-Sterne-Eisfach. Die Decke schalldicht verkleidet mit dicken Styroporplatten und eichefarbenen Paneelen. Sein Schmuckstück stand jedoch genau in der Mitte des vierzig Quadratmeter großen Raums, ein zwei Meter langer und einen Meter breiter Metalltisch, dessen Füße im Boden verschraubt waren. Er warf einen Blick dorthin, ging zur Stereoanlage und legte die CD ein. Leise klang die Klaviermusik aus den großen Lautsprechern. Er drehte sich um, blieb stehen, ein weiterer langer Blick zum Tisch hin.
    Sie lag darauf, die Arme und Beine mit Ledermanschetten fixiert, ein breiter Ledergurt um die Stirn, um zu verhindern, dass sie ihren Kopf bewegte. Die Augen mit einem Tuch verbunden, über dem Mund ein graues Klebeband. Nur die Nasenöffnungen waren frei, sie sollte ja noch atmen. Sie versuchte ihren Kopf zu bewegen, was ihr jedoch nicht gelang, nur ihre Finger und die Füße zuckten in unregelmäßigen Abständen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich angstvoll, er meinte das Herz unter der nackten Brust schlagen zu sehen.
    Er ging zum Tisch, beugte sich über sie und sagte im Flüsterton: »Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich dich so lange allein gelassen habe, aber ich hatte noch andere Sachen zu tun, du weißt ja, wie das ist. Na ja, du verstehst mich schon …« Er sah die Lache, die sich zwischen ihren Beinen auf dem Tisch gebildet hatte, und fuhr mit väterlich vergebender Stimme fort: »Du musstest mal, das hätte ich mir denken können. Das ist aber nicht schlimm, ich mach’s gleich sauber.« Er riss zehn Blätter von einer Küchenrolle ab und wischte den Urin weg. Danach setzte er sichauf den Hocker, nahm zärtlich ihre Hand und sagte: »Hörst du die wunderschöne Musik? Ist sie nicht himmlisch, geradezu göttlich? Die größten Männer und Frauen waren und sind

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