Kaltes Blut
kürzer treten.«
»Kürzer treten?«, fragte Sonja Kaufmann neugierig. »Was ist passiert?«
»Das ist eine rein persönliche Entscheidung«, erwiderte Emily Gerber in einem Ton, der keine weiteren Fragen zuließ.
»Wir sind schon weg. Tschüüüs.«
Emily Gerber wollte gerade die Tür schließen, als Hellmer sich mit schnellen Schritten dem Haus näherte.
»Moment, Moment, ich möchte bitte auch rein.«
»Wenn Sie von der Presse sind, können Sie gleich wieder verschwinden«, sagte sie kühl und abweisend.
»Ich bin nicht von der Presse …«
»Und wer sind Sie dann, wenn ich fragen darf?«
»Sie dürfen. Hellmer, Kripo Frankfurt. Meine Kollegin ist glaub ich schon drin«, sagte er und hielt ihr seinen Ausweis hin. »Ich wohne übrigens gleich dort vorne.«
»Interessant«, erwiderte sie mit neckischem Augenaufschlag. »Sind wir uns schon mal begegnet?«
»Keine Ahnung, höchstens beim Penny oder HL, vielleicht auch beim Aldi. Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
»Gerber, Emily Gerber.«
»Gerber? Sind Sie etwa mit Dr. Gerber verwandt?«
»Verwandt nicht unbedingt, ich bin seine Frau.«
»Angenehm«, sagte Hellmer und reichte ihr die Hand. »Ihr Mann ist unser Hausarzt. Es freut mich, auch mal seine bessere Hälfte kennen zu lernen.«
»Und Frau Durant ist also Ihre Kollegin. Sie unterhält sich gerade mit Frau Kautz.«
Sie gingen ins Haus, vernahmen die leisen Stimmen von Helga Kautz und Julia Durant, verstanden aber nicht, was gesprochen wurde.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«, fragte Emily Gerber.
»Ist das hier Ihr zweites Zuhause?«
»Nicht ganz. Helga, ich meine Frau Kautz, ist meine beste Freundin.«
»Wenn das so ist, nehme ich gerne ein Glas Wasser.«
Sie holte eine Flasche und zwei Gläser aus der Küche, stellte eines vor Hellmer, schenkte die Gläser voll, setzte sich ihm gegenüber auf die Couch und lehnte sich zurück. Hellmer betrachtete sie einen Moment. Er konnte sich nicht erinnern, sie je zuvor gesehen zu haben, sie wäre ihm mit Sicherheit aufgefallen. Eine sehr attraktive Frau, der eine gewisse Laszivität nicht abzusprechen war, ganz gleich, ob sie etwas sagte oder sich bewegte oder ihn anschaute. Sie sah wesentlich jünger aus als ihr Mann. Hellmer schätzte sie auf höchstens dreißig, und Gerber war bestimmt Mitte vierzig. Ein eher ungleiches Paar, wovon es jedoch mittlerweile immer mehr gab.
Emily Gerber trug eine hellblaue, kurzärmlige, leicht ausgeschnittene Bluse auf der nackten Haut, eine ebenfalls hellblaue, verwaschene Jeans und Leinenturnschuhe an ihren Füßen. Eine dünne Goldkette um den Hals, dezente Ohrringe, ein Armband, ein Fußkettchen, einen Ehering und einen ebenfalls dezenten Brillantring an der linken Hand. Ihre Haut war leicht gebräunt, bis auf die Lippen war sie ungeschminkt, aber ein Gesicht wie das ihrebrauchte kein Make-up. Und sie duftete verführerisch nach einem Sommerparfüm, leicht und wie geschaffen für sie.
»Wie ist denn der Stand der Ermittlungen?«, fragte sie neugierig nach einer Pause, nachdem Hellmer einen Schluck getrunken hatte, sichtlich amüsiert über Hellmers eindeutige Blicke.
»Es gibt keinen Ermittlungsstand, wir befinden uns noch ganz am Anfang. Aber wenn Sie die Frau von Dr. Gerber sind, dann gehört Ihnen doch einer der Reiterhöfe in Eddersheim, wenn ich recht informiert bin.«
»Richtig. Mein Vater hat ihn mir zur Geburt unseres zweiten Kindes vermacht. Und Selina ist Mitglied bei uns. Ich hoffe, ich muss nicht sagen, sie war Mitglied, auch wenn jeder in diesem Haus inzwischen davon ausgeht, dass sie nicht mehr lebt. Ich spreche aber erst dann in der Vergangenheit, wenn man ihre Leiche gefunden hat. Ich denke positiv und sage immer, das Glas ist halb voll, obwohl das manchmal sicher töricht ist«, meinte sie lächelnd, wobei Hellmer die beiden Grübchen auffielen, die sich neben den Mundwinkeln bildeten.
»Nicht unbedingt. Nur sprechen leider die Fakten im Moment eine andere Sprache.«
»Sie sind also auch überzeugt, dass Selina tot ist«, sagte sie, mit einem Mal ernst geworden. »Liegt dieser Pessimismus an Ihrem Beruf, oder sind die Fakten tatsächlich so eindeutig?«
»Darüber darf ich Ihnen leider keine Auskunft geben. Momentan durchkämmt eine Hundertschaft das gesamte umliegende Gelände.«
»Ich weiß. So was spricht sich hier mit Lichtgeschwindigkeit rum. Ich glaube, die meisten hier wussten das schon, bevor die ersten Polizisten eingetroffen sind. Und die Leute reden ja schon
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