Kaltes Blut
von gar nichts anderem mehr. Es dreht sich nur noch um Selina. Ich möchte aber nicht wissen, was in ihren Köpfen wirklich vorgeht.«
»Ich schon. Dürfte ich Ihnen ein paar Fragen stellen, bis meine Kollegin wiederkommt?«
Sie warf ihm erneut einen dieser leicht spöttischen Blicke zu und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Fragen Sie.«
»Sie waren sicher eine der letzten Personen, die Selina am Mittwoch gesehen hat, nehme ich zumindest an. Erzählen Sie mir etwas über sie.«
»Was soll ich Ihnen erzählen, was Sie nicht schon längst wissen? Wenn Sie vielleicht etwas konkreter werden könnten.«
»Seit wann kennen Sie Selina?«
»Seit sie geboren wurde, mein Mann ist ihr Taufpate.«
»Entschuldigen Sie, wenn ich jetzt etwas persönlicher werde, aber wie lange sind Sie verheiratet?«
Wieder dieses spöttische Aufblitzen in ihren Augen, das sie unnahbar und gleichzeitig anziehend machte. »Seit vierzehn Jahren. Ich war achtzehn, als wir geheiratet haben. Und wir sind noch immer zusammen, eigentlich eine Sensation in unserer heutigen schnelllebigen Zeit, finden Sie nicht?«
»Da mögen Sie Recht haben. Und Sie haben es nie bereut?«
»Ist das wichtig für Ihre Ermittlungen?«
»Nein, natürlich nicht. Entschuldigen Sie, ich wollte nicht indiskret erscheinen. Kommen wir auf Selina zurück. Wir haben die Aussage ihrer Eltern, aber mich würde auch interessieren, was für ein Mädchen sie in Ihren Augen ist.«
»Hochintelligent, sehr sensibel in allen Bereichen, sehr musisch, feinfühlig, sie hat ein hohes moralisches Empfinden, sie ist eher etwas zurückhaltend, das heißt, es dauert eine Weile, bevor sie jemanden an sich heranlässt. Es gibt etliche in unserem Reitclub, zu denen Selina nie einen engeren Kontakt aufnehmen würde.« Sie überlegte, schürzte dann die Lippen, bevor sie weitersprach: »Na ja, insgesamt gesehen ist Selina eine junge Dame, die sehr genau weiß, was sie will. Und um es auf den Punkt zu bringen, sie unterscheidet sich sehr von andern Mädchen ihres Alters. Sollte sie tatsächlich tot sein, so wäre das für viele, die sie kannten, ein herber Verlust und sicher auch ein großer Schock. Deshalb hoffe ich inständig, dass sie noch lebt.« Sie hielt inne und blickte zu Boden,während Hellmer sie betrachtete. »Mein Mann und Peter waren schon als junge Männer im selben Sportverein, mein Mann als Trainer und Spieler, Peter hat nur gespielt. Tischtennis, falls es Sie interessiert. Und mein Mann war Trauzeuge bei ihrer Hochzeit, Peter bei unserer.«
»Und wie kam Selina zum Reiten?«
»Wie oder wann?«
»Wie.«
»Ich habe sie ein paarmal mit auf den Hof genommen. Anfangs hatte sie Angst vor den großen Tieren, aber sie hat diese Angst sehr rasch abgelegt. Pferde sind gar nicht so problematisch, wie viele meinen. Sie sind im Grunde sehr liebenswürdig, vorausgesetzt, sie werden entsprechend behandelt. Nachdem sie Vertrauen gefasst hatte, ging es bei Selina ganz schnell. Sie war gar nicht mehr vom Pferd runterzukriegen. Und vor drei Jahren hat sie dann ein eigenes bekommen, einen Hannoveraner. Ein ausgesprochen schönes Pferd, allerdings auch ausgesprochen teuer. Aber Sie sehen ja selbst«, sie deutete um sich, »Geld spielt hier keine Rolle. Sie hat es Chopin genannt, weil sie gerne Klavier spielt, vor allem Stücke von Chopin. Sie kümmert sich wirklich aufopferungsvoll um ihr Pferd, was längst nicht bei allen unseren Mitgliedern der Fall ist. Sie hat, bis auf wenige Ausnahmen, die komplette Pflege selbst übernommen, was viele Mitglieder lieber unserm Stallburschen überlassen. Einige sehen in einem Pferd einen Freund, andere lediglich einen Gebrauchsgegenstand, den sie aus dem Stall holen, wenn sie mal wieder Lust zum Reiten haben. Es ist sehr unterschiedlich. Man kann im Übrigen sehr viel über die Menschen lernen, wenn man beobachtet, wie sie mit den Tieren umgehen. Bei einigen würde ich manchmal am liebsten dazwischenhauen, wenn ich sehe, wie sie ihre Pferde behandeln. Doch es sind leider fast immer diejenigen, die dem Hof das meiste Geld bringen. Und einen solchen Hof zu unterhalten, ist sehr aufwendig. Ich meine, es geht uns nicht schlecht, ganz im Gegenteil, aber manche dieser Kotzbrocken gehen mir einfach auf den Geist. EntschuldigenSie meine Ausdrucksweise, doch so fühle ich nun mal.«
»Und es sind alles Leute von hier?«
»Wenn Sie Frankfurt, Königstein, Glashütten, Hofheim und natürlich auch Flörsheim und Hattersheim mit hier meinen, dann ja. Wir haben ein
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