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Kaltes Blut

Kaltes Blut

Titel: Kaltes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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versuchten, einen Blick auf den geheimnisvollen Gegenstand zu werfen.
    »Sagen Sie mal den Leuten, dass es hier nichts zu glotzen gibt«, bat Hellmer den ältesten Beamten. »Noch besser wäre, wenn Sie sich mit Ihren Kollegen da draußen postieren könnten, das würde unsere Arbeit sehr erleichtern.«
    Sekunden später waren er und Durant allein. Sie schwiegen. Die Spurensicherung, der Fotograf und Bock von der Rechtsmedizin trafen nach fünfunddreißig Minuten ein. Sie verständigten sich ohne Worte, der Fotograf schoss die Bilder und machte anschließend eine Videographie, die drei Männer und die Frau der Spurensicherung in ihren weißen Tyvek-Anzügen steckten den Fundort mit kleinen nummerierten Fähnchen ab. Danach begann Bock, vorsichtig die Schnur zu durchtrennen.
    »Wir müssen es oder sie umdrehen«, sagte er. Ein junger Mann von der Spurensicherung half ihm, das Leinentuch fiel auseinander und gab den Blick frei auf eine in jedem Baumarkt erhältlichetransparente Abdeckplane, wie man sie zum Tapezieren oder Streichen verwendet. Die Plane war ebenfalls zusammengebunden. Während Bock auch diese Schnüre durchschnitt, sagte er leise: »Das ist wie in einem Horrorfilm.«
    Er faltete die Plane auseinander, kurz darauf hatte er den Körper freigelegt. Der strenge Geruch eines Desinfektionsmittels stieg den Beamten in die Nase. Julia Durant hatte schon einige Mordopfer gesehen, doch dieser Anblick prägte sich ihr ganz besonders ein. Sie war nackt, der Brustkorb voller Einstiche, um die herum das wenige jetzt schwarze Blut geronnen und verkrustet war. Der Kopf hingegen war vollkommen blutfrei, als wären nicht nur der Torso, sondern auch das Gesicht und die Haare vor dem Verpacken gewaschen worden. Die Arme und Beine waren ebenfalls sauber, die Arme lagen auf dem Bauch, die Hände gefaltet. Sie war sehr schlank, mit kleinen, festen Brüsten, einer bemerkenswert schmalen Taille, festen Oberschenkeln und langen, geraden Beinen. Lange, fragile Finger, perfekt geeignet, um Klavier zu spielen, die Nägel kurz geschnitten. Die Augen geschlossen, als schliefe sie nur, die Haut jedoch so wächsern, wie sie es bisher nur bei den Leichen in der Rechtsmedizin gesehen hatte, wenn sie auf dem Tisch lagen, bereit zur Obduktion. Nein, sie hatte es auch schon bei anderen Leichen gesehen, es war aber jedes Mal wieder ein erschreckender Anblick. Es schien, als hätte der Täter das schulterlange mittelbraune Haar vor dem Einwickeln frisch gekämmt.
    »Wie lange ist sie schon tot?«, fragte Durant, unfähig, ihren Blick von dem toten Körper abzuwenden.
    »Frau Durant, ich kann nicht hexen. Ein klein wenig Geduld bitte.« Nach einer weiteren Begutachtung und ohne aufzublicken: »Zwölf bis vierzehn Stunden, auf keinen Fall länger.«
    »Bitte was?«, fragte Durant mit ungläubigem Blick. »Zwölf bis vierzehn Stunden? Das würde ja heißen, sie wurde erst letzte Nacht …«
    »Seit wann wird sie vermisst?«, fragte Bock.
    »Seit Mittwochabend.«
    »Schauen Sie«, sagte Bock, wies auf die Leiche und drückte ein paarmal fest mit zwei Fingern auf den Körper, »die Leichenflecken sind nicht mehr wegdrückbar, die Totenstarre ist hingegen noch vollständig ausgeprägt. Selbst wenn ich wie jetzt versuche, die Starre gewaltsam zu lösen, tritt sie gleich wieder ein. Wäre sie seit sagen wir sechsunddreißig Stunden tot, könnte ich unter den gegebenen Bedingungen die Starre lösen beziehungsweise sie würde sogar anfangen sich von selbst zu lösen.« Er schüttelte den Kopf: »Nein, auf keinen Fall länger als zwölf bis vierzehn, maximal sechzehn Stunden. Außerdem würde bei den derzeitigen Wetterbedingungen nach sechsunddreißig Stunden bereits ein bestimmter Prozess einsetzen.« Er blickte auf, und als sowohl Durant als auch Hellmer ihn nur fragend anschauten, fuhr er fort: »Sehen Sie, gestern und auch heute war es nicht sonderlich heiß, und die beiden letzten Nächte waren eher angenehm kühl, na ja, da kann es natürlich vorkommen, dass der so genannte Fäulnisprozess erst in sechs bis zehn Stunden einsetzen würde. Hätten wir gestern und heute um die dreißig Grad gehabt und dazu eine sehr warme Nacht um die zwanzig Grad, dann würde es nach sechsunddreißig Stunden schon bis zum Main runter stinken und die Fliegen und Würmer aus ihren Körperöffnungen kriechen, vorausgesetzt, sie wäre seit anderthalb Tagen tot, was sie aber nicht ist. Na ja, vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber sie hat eine Menge Blut verloren, ihr

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