Kaltes Blut
Körper weist Dutzende von Messerstichen auf, wie viele genau, kann ich erst nachher sagen. Da ist jedenfalls nicht mehr viel drin.« Er hielt inne. Es schien, als unterzöge er ihren Körper einer eingehenden Betrachtung, dann sagte er: »Verdammt jung und verdammt hübsch. Die Jungs waren bestimmt ganz verrückt nach ihr.« Und ohne den Blick von der Toten zu nehmen: »Aber wenn Sie jetzt mehr hören wollen, muss ich Sie leider enttäuschen. Genaues kann ich erst nach der Sektion sagen. Todeszeitpunkt und so weiter.«
»Das heißt, Fundort ist nicht gleich Tatort.«
»Logisch«, bemerkte Hellmer trocken. »Glaubst du vielleicht, der Typ schleppt sie her, bringt sie langsam um, wickelt sie hier sorgfältig ein und hat keine Angst, dabei erwischt zu werden? Nee, er hat sie hier nur entsorgt, und zwar so, dass man sie zwangsläufig finden musste.«
»Das heißt aber auch, dass er sie etwa vierundzwanzig Stunden gefangen gehalten hat. Was hat er mit ihr in der Zeit gemacht? Gequält? Missbraucht? Was geht in ihm vor?«
Hellmer zuckte nur mit den Schultern.
»Okay, das reicht fürs Erste. Wir fahren zu den Eltern«, erklärte Durant entschlossen und gab Hellmer ein Zeichen.
»Wissen Sie was«, sagte Bock, der aus der Hocke hochgekommen war und Durant und Hellmer beinahe mitleidig anschaute, was bei ihm nur sehr selten vorkam, »ich möchte jetzt nicht mit Ihnen tauschen. Ich beneide Sie wahrlich nicht um Ihren Job. Bei mir kommen die Leichen auf den Tisch, ich schneide sie auf, wiege die Organe, erkunde die Todesursache und nähe sie wieder zu. Keiner, mit dem ich darüber sprechen muss. Bringen Sie’s hinter sich, und dann holen Sie sich diesen Bastard und sorgen Sie dafür, dass er nie wieder frische Luft atmen kann.«
»Das sagen Sie so leicht. Sie kennen doch unsere Gerichte und unsere so genannte Rechtsprechung«, erwiderte Durant resignierend. »Wann kriegen wir das Ergebnis?«
Bock grinste, wie nur er es konnte, spitzbübisch und selbst angesichts einer solchen Situation gewürzt mit einer Prise Humor, so, wie er beim Anblick einer völlig verwesten Leiche an Essen denken konnte oder unmittelbar nach einer Obduktion sich die Hände wusch und noch im Sezierraum ein Wurstbrot aß, wenn andere längst auf dem Klo waren und sich die Seele aus dem Leib kotzten. Aber er war Pathologe, und alle Pathologen, deren Bekanntschaft Durant bisher gemacht hatte, waren auf die eine oder andere Weise ein bisschen verrückt oder hatten zumindest skurrile Angewohnheiten oder Macken. So wie Bock, der jetzt so wirkte, als wollte er Durant und Hellmer völlig überraschend für denAbend ins Kino einladen und anschließend mit ihnen noch in eine Bar gehen. »Ich will Sie ja nicht zu lange auf die Folter spannen; sagen wir so gegen sieben? Reicht Ihnen das? Es ist aber nur das vorläufige Ergebnis, die komplette Auswertung aller Untersuchungen dauert bis mindestens morgen Abend. Aber das machen dann meine Kollegen.«
»Schon klar. Und schauen Sie mal nach den obligatorischen Sperma- und Speichelspuren, vielleicht findet sich ja eine Fremd-DNA. Und wenn, dann lass ich hier einen groß angelegten Speicheltest durchführen.«
»Ich werde mir die größte Mühe geben, aber … Sehen Sie doch mal, er hat sie gewaschen, und zwar von Kopf bis Fuß und anschließend auch noch mit einem Desinfektionsmittel gereinigt. Ich glaube nicht einmal, dass er in sie eingedrungen ist, und wenn, hat er sie womöglich sogar ausgespült, aber das ist nur eine Vermutung. Ich schau sicherheitshalber trotzdem nach. Bis später.«
Hellmer und Durant begaben sich zum Auto. Hellmer fuhr an dem kleinen Spielplatz und dem Park vorbei und eine schmale Gasse hoch zur Hauptstraße. Von unterwegs rief Durant Berger an und teilte ihm das Ergebnis ihres Fundes mit. Sie bat ihn, die Suchmannschaft zu informieren und zurück nach Frankfurt zu schicken. Er wollte noch etwas sagen, doch Durant trennte einfach die Verbindung.
»Wer sagt’s ihnen?«, fragte Hellmer.
»Weißt du was, diesmal überlass ich es dir. Du bist schließlich ihr Nachbar.«
»Okay, irgendwann musste ich ja mal dran sein. Wo stecken eigentlich Peter und Doris? Die sollten doch anrufen, wenn sie mit den Befragungen fertig sind.«
»Wahrscheinlich irgendwo im Wald«, antwortete Durant nur.
»Sag ihnen Bescheid, die sollen ins Präsidium fahren, wir treffen uns dort um fünf. Und jetzt können wir nur hoffen, dass noch niemand es den Eltern erzählt hat.«
»Hoffen wir’s.« Julia Durant
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