Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
Vorfälle im Ultrakauf zu kümmern? Kritik an der Homestory? Aber warum? Sie war harmlos gewesen, und ich hatte nur in einem Nebensatz vermerkt, wie glücklich die van der Fluhs darüber waren, dass ihr Haus alter Familienbesitz war, da es als Firmenwohnung von der einen oder anderen Supermarktkassiererin oder Kundin vielleicht doch nicht goutiert worden wäre. Misstrauisch las ich:
»Sehr geehrte Frau Dr. Valensky« – woher um alles in der Welt wussten sie von meinem akademischen Titel? Ich hatte ihn seit mehr als zehn Jahren nicht mehr verwendet.
»Die Kauf-AG ist bemüht, im Interesse ihrer Kunden und Anleger der Konkurrenz immer einen Schritt voraus zu sein. Deswegen habe ich vor kurzem einen Think-Tank eingerichtet, in dem erfahrene Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Lebensbereichen gemeinsam mit unseren Entwicklungsexperten über die Zukunft des Unternehmens beraten sollen. Mir geht es dabei um größtmögliche Offenheit, gerade auch von Kritikern können wir lernen.
Es wäre mir eine Freude, Sie in diesem Gremium willkommen zu heißen. Da wir bemüht sind, unseren Vordenkern einen angenehmen Rahmen zu bieten, findet die nächste moderierte Gesprächsrunde am 10. Dezember um 19 Uhr im neu eröffneten Parkhotel Wien statt. Ich freue mich, Ihnen ankündigen zu können, dass Starkoch Martin Guttmayer für unsere Gäste ein Menü zusammenstellen wird, das Diskussionsfreude und Kreativität beflügeln wird.
Mit freundlichen Grüßen
Viktor van der Fluh«
Ein handgeschriebenes Postskriptum ließ mich wissen, dass van der Fluh die Homestory »wirklich sehr nett und ansprechend« gefunden habe.
Ich faltete den Brief wieder zusammen und klopfte damit so lange nachdenklich auf den Tisch, bis mein Kollege herüberzischte, ich solle endlich mit diesem nervtötenden Geräusch aufhören. Was bezweckte van der Fluh? Ich konnte es nur herausfinden, wenn ich seine Einladung annahm. Wollte er mich einkaufen? Oder mich zumindest für ihn und sein Unternehmen einnehmen? Bestechung war ein Menü jedenfalls keine, von einem Honorar hatte nichts dabeigestanden. Wer waren die anderen »Persönlichkeiten«, die geladen worden waren?
Ich tat etwas für mich Außergewöhnliches und ging freiwillig zum Chefredakteur. Ich las ihm den Brief vor und fragte: »Wie soll ich reagieren?«
»Offenbar haben Sie auf van der Fluh einen guten Eindruck gemacht. Gerade als Frau haben Sie mit Supermärkten sicher Erfahrung, und auch für das ›Magazin‹ könnte es sich als recht nützlich erweisen, mit der Kauf-Gruppe gut zu kooperieren. Immer vorausgesetzt, Sie verzichten auf Ihre klassenkämpferischen Töne.«
Ich zitierte aus dem Brief, dass van der Fluh auch Kritikerinnen willkommen waren.
»Ja, aber nur, wenn die Kritik in Bahnen gelenkt und eingebunden wird. Dagegensein ist nicht gefragt, sondern konstruktive Zusammenarbeit.«
Wahrscheinlich war das die Antwort auf meine Fragen. Ich sollte »eingebunden« werden. Bloß: Warum hatte van der Fluh ein derartiges Interesse daran? Ich dachte an seine großen, fleischigen Hände mit den sorgfältig manikürten Fingernägeln. Wie sehr waren Machtmenschen bereit, Macht auszuüben?
Entweder hatte van der Fluhs Strategie schon gewirkt, oder ich war im Moment einfach zu faul, um mich mit Kassiererinnen, Regionaldirektoren und ihrem Schicksal zu beschäftigen. Ich verzichtete darauf, einkaufen zu gehen, und fuhr gleich zu Oskar. Seine Wohnung lag im Zentrum und hatte eine große Dachterrasse mit Blick über die Dächer Wiens. Ruhe und Freiheit, mitten in der Stadt. Um diese Jahreszeit freilich konnte man die Dachterrasse nur kurz benutzen, um in den weiten Himmel oder hinunter auf die am Abend fast menschenleeren Gassen zu schauen. Dann trieben einen Kälte und Wind wieder in den einzigen, durch schwere Dachbalken gegliederten Raum, von dem nur Schlafzimmer, Bad und WC abgegrenzt waren. Wenige helle Möbel, allein Oskars Schreibtisch war alt und aus massivem Eichenholz.
Oskar war bereits daheim und hatte eine alte Miles-Davis-CD aufgelegt. Der asymmetrische Kachelofen gab eine angenehme Wärme ab, und ich wollte heute Abend nichts mehr, als in Ruhe essen und dann zufrieden vor mich hin dämmern. Wenn Oskar keine Zeit zum Kochen hatte, ließ er sich in einem Delikatessenladen alles einpacken, was ihm das Wasser im Mund zusammenrinnen ließ. Meist wäre eine sechsköpfige Holzhackerfamilie davon ohne Probleme satt geworden.
Wir saßen an Oskars rundem Tisch, ich nahm mir noch etwas vom
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