Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
Stolz, glaube ich.«
»Ich frage mich, wie Karin wirklich ist«, sagte ich langsam. »Auf der einen Seite ist sie impulsiv, auf der anderen hat sie uns nicht erzählt, dass Heller die Kartons umgestoßen hat. Kann es sein, dass sie einfach beschlossen hat wegzugehen? Warum?«
Grete sah uns an. »Deswegen seid ihr gekommen.« Sie sagte es ohne jedes Selbstmitleid in der Stimme, so, als hätte sie ohnehin nie wirklich angenommen, wir seien wegen ihr nach Rohlsdorf gefahren.
Ich schwieg kurz, dann sagte ich: »Es geht uns um deine Einschätzung. Wir versuchen, die Fäden zu entwirren.«
»Also?«, sagte Vesna aufmunternd.
»Ich weiß nicht«, begann Grete zögerlich. »Ich will ihr nicht unrecht tun. Ich habe keine Ahnung, warum sie verschwunden ist. Es schaut ihr auch nicht ähnlich. Eines stimmt schon, sie ist eine Einzelkämpferin. Aber sie setzt sich für andere ein. Sie ist, glaube ich, außerdem ziemlich verletzlich. Die meisten mögen Karin, sie gilt nicht als etwas Besseres, weil sie Abteilungsleiterin ist. Wenn ich da an die vom Obst und Gemüse denke … Könnt ihr euch erinnern, wie Karin durchgedreht hat, als die Anschuldigungen gegen sie in der Zeitung gestanden haben? Ich glaub, es hat ihr an sich gar nicht so viel gemacht. Was ihr etwas gemacht hat, war das Gefühl, von Kolleginnen verraten worden zu sein. Es ist ihr wichtig, dass alle sie mögen.«
»Aber trotzdem geht sie immer wieder auf Konfrontation.«
»Ja, aber nicht mit den eigenen Leuten, sondern mit den Chefs. Nicht, dass ich mich das trauen würde, aber ihr fällt das leicht. Für mich hat sie sich nach dem Überfall ja auch eingesetzt und von Heller gefordert, dass ich psychische Behandlung bekomme und alles Mögliche.«
»Kann sie sich so hineinsteigern, dass sie etwas Drastisches tut?«, fragte ich vorsichtig.
»Etwas Drastisches? Ja, dann kann sie schon herumbrüllen.« Grete verstummte. »Aber das meint ihr nicht. Ihr meint Mord, nicht wahr? Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich meine, ich kann mir vorstellen, dass sie im Zorn jemandem einen Stoß gibt, und der fällt dann gegen eine Kante und stirbt. Solche Sachen liest man ja immer wieder. Aber einen Mord mit Pistole … Nie. Drohen könnte sie, aber abdrücken nicht. Und sie würde nie fliehen. Nie.«
Ich sah erstaunt auf Vesnas Glas. An sich mochte Vesna nur Rotwein, vom Berger’schen Grünen Veltliner hatte sie nun aber schon das zweite Glas getrunken.
»Gibt es jemand, der die rote Karin nicht mag?«, fragte ich.
»Einige haben lieber ihre Ruhe, denen ist Karin zu laut, wenn ihr versteht, was ich meine.« Sie dachte nach, zögerte und sagte dann: »Der Capo von dem … also von den Ausländern …«
»Heißt Tschuschenblock«, warf Vesna ungerührt ein, »nicht schön, aber ist so.«
»Ja, der, den sie Capo nennen, ich weiß gar nicht, wie er wirklich heißt, der hat gegen Karin Stimmung gemacht. Das geht natürlich nur bei den Ausländern, aber da haben wir ja eine Menge. Er spielt lieber selbst den Boss und Beschützer. Es ist schon so, dass auch von den Ausländerinnen welche zur roten Karin gehen, wenn es zum Beispiel Unregelmäßigkeiten bei der Stundenabrechnung gibt. Karin gibt das dann an den zentralen Betriebsrat weiter, und am Ende heißt es meistens, dass sich jemand geirrt hat, und die fehlenden Stunden werden gezahlt. Je öfter Geld dabei herausschaut, desto öfter gehen die Frauen zu Karin. Man sollte sie viel mehr unterstützen.«
Wo war sie jetzt?
In den Regen hatten sich in der Zwischenzeit große, nasse Schneeflocken gemischt. Sie würden in den Wiener Straßen nicht liegen bleiben, reichten aber aus, um die Stadt ins Chaos zu stürzen. Staus an allen Stadteinfahrten, Unfälle. Dabei hatte der Schnee es nicht einmal geschafft, einen schmierigen Film auf der Straßenoberfläche zu bilden. Offenbar genügte allein die Vorstellung, es könnte rutschig werden.
Ich hatte zwei Zwölferkartons Veltliner gekauft und sie trotz Gretes heftiger Gegenwehr auch bezahlt.
»Gibt es nicht, dass niemand weiß, wo sie hin ist«, sagte Vesna, während es uns wieder einmal gelang, den inneren Bezirken um ein paar Meter näher zu rücken. »Man muss noch einmal fragen. Ich werde morgen wieder mit den Leuten vom Fleisch reden.«
»Außer, man hat sie entführt.«
»Wegen Lösegeld kann das nicht sein, nur wegen etwas, das sie gewusst hat. Oder was sie getan hat.«
Ich räusperte mich und sagte dann schnell: »Glaubst du, dass sie noch lebt?«
»Tote findet man
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