Kaltes Gift
verblüfft.
Alles, was Sie jetzt noch tun müssen, ist, uns zu sagen, wer sie
getötet hat, und wir haben den gesamten Fall gelöst, ohne den Raum zu
verlassen.«
»In echter Nero-Wolfe-Manier, was?«, meinte sie und errötete
unter Lapslies Lob. »Leider kann ich beim Identifizieren des Mörders
nicht helfen, aber wenigstens kann ich Ihnen ein paar der Informationen
liefern, die Sie brauchen. Ihr Name war Violet Chambers. Sie war
neunundsiebzig Jahre alt, und sie hat in Ipswich gewohnt. Das ist
alles, was ich an Informationen habe. Ich wollte mich nicht zu sehr in
Ihr sicherlich ausgewiesenes Spezialgebiet einmischen.«
»Doktor Catherall, Sie sind wirklich erstaunlich.«
»Bitte nennen Sie mich Jane.«
»Noch erstaunlicher ist die Tatsache, dass Sie bereits
wussten, wer sie war und was sie umgebracht hat, ehe ich den Raum
betreten hatte, und trotzdem haben Sie die ganze Vorstellung ablaufen
lassen.«
Sie zuckte die Achseln: eine verzerrte Bewegung ihrer
Schultern. »Es kommt so selten vor, dass ich dankbares Publikum habe.
Das muss ich ausnutzen.«
»Jane, es war ein Privileg, von Ihnen ausgenutzt zu werden.«
»Dann könnte ich Sie womöglich in mein Büro locken, wo ich
Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten und Ihnen das bisschen zeigen könnte,
was Dan an Informationen über Violet Chambers hat zutage fördern
können?«
»Soll das ein Antrag sein, Doktor Catherall?«
»Oh, man hat mich gelehrt, niemals ein Urteil mit einem Antrag
zu beenden«, sagte sie lächelnd.
Lapslie wandte sich zur Seite, wo DS Bradbury saß. »Emma,
fahren Sie ins Labor, und stellen Sie fest, ob die von der
Spurensicherung am Unfallort irgendwelche Tierskelette gefunden haben.«
Emma nickte und verschwand, offensichtlich froh über die
Gelegenheit, etwas tun zu können, statt einfach dazusitzen und
zuzusehen, wie jemand anders etwas tat.
»Dan«, sagte Dr. Catherall zu ihrem Assistenten, »könnten Sie
mir zwei Tassen Kaffee organisieren? Mit Milch und Zucker. Wir sind in
meinem Büro.«
Sie bedeutete Lapslie, voranzugehen. Einen Moment lang dachte
Lapslie, sie wolle, dass er ihren Arm nähme. Ihm war immer noch nicht
ganz klar, wie ernst Dr. Catherall sich selbst nahm, doch er vermutete,
es könnte ihren Stolz verletzen, wenn er lachte.
Er stieß die Doppeltür auf und verließ den Obduktionsraum.
Instinktiv bog er nach rechts in einen Seitengang, der vom
Hauptkorridor des Gebäudes abzweigte. Als Dr. Catherall die Tür leise
hinter sich zufallen ließ, ging er langsam voraus, so dass sie mit ihm
Schritt halten konnte.
Die Türen, an denen er vorüberkam, waren geschlossen und
trugen Schilder wie ›Labor‹, ›Lager‹ und ›Asservatenkammer‹. Ganz
hinten führte eine Brandschutztür mit einem Schubriegel davor
anscheinend in den hinteren Teil des Gebäudes. Kurz davor war zu seiner
Linken eine Tür zu sehen, die einen Spaltbreit offen stand. ›Dr. J.
Catherall, Leitende Pathologin‹ stand darauf. Er wartete, bis sie
herankam, und als sie ihm bedeutete, einzutreten, schob er die Tür auf
und ging hinein.
Aufgrund der kurzen Erfahrung mit Dr. Catherall hatte Lapslie
Papiere und Bücher erwartet, ringsum über Schreibtisch, Bücherborde,
Aktenregale und Fußboden verstreut. Daher war er angenehm überrascht,
den Raum stattdessen nahezu kahl vorzufinden. Ein Bücherregal enthielt
medizinische Fachzeitschriften und ein paar Nachschlagewerke, aber
abgesehen davon gab es hier nur leere Arbeitsflächen und einen
Dell-Computer auf dem Schreibtisch, dessen Bildschirmschoner lief.
Nein, das war noch nicht alles. Auf dem Bücherregal, neben dem
Drucker, stand das gerahmte Foto eines jungen Mannes mit schwarzem
Haar. Er lächelte den Fotografen an, wer immer das gewesen war. Quer
über den unteren Rand stand etwas geschrieben, aber Lapslie wollte
nicht zu genau hinsehen. Das wäre bei einer so kurzen Bekanntschaft zu
aufdringlich gewesen.
Dr. Catherall deutete auf einen Stuhl und sagte: »Bitte nehmen
Sie Platz. Ich bin gleich so weit.«
Er setzte sich. Dr. Catherall zog eine Schublade auf und
kramte darin herum, und Lapslie wurde unwiderstehlich daran erinnert,
wie sie vor kaum einer Stunde fast genauso in einem menschlichen
Leichnam gewühlt hatte. Schließlich zog sie einen dünnen Aktenordner
hervor.
»Hier – das ist, was Dan über ihre Identität
herausgefunden hat, dazu eine Liste der Kleidungsstücke und anderer
Besitztümer, die wir gefunden haben«, erklärte sie und reichte ihm den
Ordner. »Ich drucke Ihnen eine
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