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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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Daisy dem Buch wenig
Aufmerksamkeit. Sie konzentrierte sich mehr auf das Kommen und Gehen im
Hof; auf die kleinen Höflichkeiten, auf die kleinen Gewohnheiten, die
zwischen den regulären Besuchern üblich geworden waren. Nach einer
Weile jedoch, als niemand kam, um sich zu ihr zu setzen, begann sie
sich in das Buch zu vertiefen.
    Es war von einem ortsansässigen Historiker geschrieben, und
soweit sie es beurteilen konnte, ein Privatdruck. Gewiss, es gab da
allerlei nicht sonderlich Professionelles, was das Schriftbild und den
Seitenumbruch betraf. Aber der Autor kannte sein Thema, und er konnte
sich gut ausdrücken. Daisy verspürte mehr und mehr Interesse an den
Details: wie die Küste von Leyston zur Hauptbezugsquelle von
Rohmaterial für die Baustoffindustrie geworden war und wie der kleine
Bahnhof sich zum Umschlagplatz für den Transport der Felsbrocken nach
London gemausert hatte. Wer hätte das gedacht?
    Andere Kapitel handelten von Leyston während des Krieges und
von Leystons Ausdehnung als Teil des Gebietes der Tendring Hundreds.
Die Geschichte schien das Städtchen lange Zeit übergangen zu haben. Da
wurden dann kleine Vorkommnisse bedeutungsvoller, einfach nur, weil
sonst so wenig passierte. Das wusste Daisy ja bereits – jede
Stadt, wo der Diebstahl einer Milch- und einer Bierflasche in der
Lokalzeitung Schlagzeilen machte, hinterließ halt sonst keine Spuren in
der Geschichte –, und der Autor des Buches hatte tief schürfen
müssen, um interessante Geschichten zutage zu fördern.
    Das jedenfalls dachte Daisy, bis sie eine Seite umblätterte
und auf ein Kapitel über sensationelle Verbrechen in der Tendring
Hundreds Area stieß. Zur Illustration war die Titelseite einer Zeitung
aus den vierziger Jahren abgelichtet. Die Schlagzeile lautete kurz und
bündig ›Einheimische Frau in Mordtragödie verwickelt‹. Und unter der
Schlagzeile war das Schwarzweißfoto des Mädchens, dessen Spiegelbild
sie im Wasser des Jachthafens gesehen hatte.

8
    F rüher, bevor er zum Detective Chief
Inspector befördert worden war, war Mark Lapslies Büro ein kleiner,
rechteckiger Raum in einem monolithischen Gebäude aus den fünfziger
Jahren gewesen, in den Außenbezirken von Chelmsford, mit einer
hässlichen Aussicht auf den Parkplatz der Polizeidienststelle und mit
Rigipswänden, denen man ansah, dass sie immer wieder mit einer Vielzahl
von Farben überpinselt worden waren. Selbstklebende Fotoecken, vergilbt
durchs Alter, hatten die Wände geziert, obgleich die Poster und Fotos,
die sie einmal gehalten hatten, längst entfernt worden waren. Eckige
metallene Kabelkanäle waren irgendwann in der Vergangenheit an den
Scheuerleisten entlang verlegt worden, um Elektroleitungen und
Anschlüsse aufzunehmen. Zu einem späteren Zeitpunkt waren dann in
Hüfthöhe weitere Kabelkanäle installiert worden, um das
Computernetzwerk zu verkabeln. Das Gebäude hatte keine Klimaanlage,
aber die Polizisten und die Frauen, die dort arbeiteten, hatten rasch
gelernt, welche Fenster man öffnen konnte und welche man besser
geschlossen ließ, um einen ständigen kühlen Luftzug durch die Korridore
zu gewährleisten. Im Winter hatte Lapslie Milchtüten draußen auf dem
Fenstersims verwahrt. Regelmäßig war eine Frau mit einem Rollwagen
vorbeigekommen, einmal um elf, dann wieder um drei Uhr, und hatte
pappige Sandwiches und abgestandenen Tee verkauft. Eine andere Frau mit
einem Rollwagen kam jeweils eine halbe Stunde später, um die
Ablagekörbe für ausgehende Post auf den Schreibtischen zu leeren und
neu eingegangene Post zu bringen.
    Jetzt hatte Lapslie einen Schreibtisch in einem Großraumbüro
im elften Stock des mit einem Architekturpreis ausgezeichneten
Bürogebäudes, das erst vor ein paar Jahren im neu entwickelten
Stadtzentrum erbaut worden war.
    Eingehende Post wurde jetzt eingescannt und elektronisch an
die Computer auf jedem Schreibtisch übertragen. Der Postausgang war
durch E-Mails ersetzt worden. Die Fenster waren zur Sicherheit und zum
Energiesparen mit einem metallischen Film beschichtet und ließen sich
nicht öffnen. Niemandem war gestattet, irgendetwas an die Wände zu
kleben, und die Anschlagtafeln wurden einmal im Monat von anstößigen
oder überholten Aushängen gesäubert. Die gesamte Elektro- und
Computernetzwerkverkabelung verlief unter dem erhöhten Fußboden. Ebenso
die Ventilation: Alle paar Meter sorgten kleine runde Luftlöcher für
eine kaum spürbare Frischluftzufuhr. Die Stühle waren hochmodern,

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