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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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hin?«,
fragte er mehr sich selbst als Rouse. »Und was genau sollte ich tun?
Ich wäre doch nur ein pensionierter Polizist mehr in einem Land, in dem
es davon nur so wimmelt. Ich habe einfach nicht die Energie, mich als
Sicherheitsberater selbständig zu machen oder die Ermittlungsabteilung
einer großen Bank zu leiten. Ich bin Polizist, Sir. Das kann ich. Das
ist alles, was ich kann.«
    »Was ist mit …«
    »Sonia? Sie kommt nicht wieder zurück. Und die Kinder auch
nicht.«
    Und diesmal war es nicht das Geräusch, sondern die Erinnerung
an Geräusche, die seinen Mund mit Vanillegeschmack füllte. Die
Erinnerung an seine Kinder, wie sie hinten im Garten spielten, sich
gegenseitig alberne Namen an den Kopf warfen, einander kreischend um
das Auto herumjagten. Die Erinnerung daran, wie sie durch den Wald
rannten und nach ihm riefen, wie ihre Stimmen richtungslos im Wind
trieben. Die Erinnerung an sie, wie sie weinten, wenn sie hinfielen und
sich das Knie aufschlugen, wie sie lachten, wenn sie versuchten, die
Vögel auf dem Rasen zu fangen. Seltsam, wie die Zeit um gewisse Momente
herum gefror, sie durch sein Erinnern rückwärts und vorwärts
projizierte. Für Lapslie waren seine Kinder immer noch im selben Alter
wie zu der Zeit, als sie ausgezogen waren. Er konnte sich eigentlich
gar nicht erinnern, wie sie bei ihrer Geburt ausgesehen hatten oder als
sie im Haus herumgekrabbelt waren. Und trotz der gelegentlichen Besuche
und der Fotos, die Sonia schickte, fiel es ihm schwer, sich zu merken,
wie sie jetzt aussahen. Es waren ihre Gesichter jener letzten Tage, wie
sie im Garten spielten, an die er sich immer erinnern würde.
    »Das ist eine Schande.«
    »Das stimmt«, sagte er mit schwerer Stimme. »Das stimmt
wirklich.«
    »Wenn es irgendwas gibt, wie ich helfen kann …«
    Er nickte. »Danke für das Angebot«, sagte er. »Aber was ist
mit Ihnen? Ist Ihr Stern immer noch im Aufsteigen begriffen? Und haben
Sie immer noch genug Energie für den Gipfelsturm?«
    Rouse lächelte, und einen Moment lang fielen die Jahre von ihm
ab; er sah fast wieder so aus wie damals in Kilburn, vor vielen Jahren.
»Ich wäge meine Optionen ab«, erwiderte er nachdenklich. »Ich habe ein
Angebot von der Abteilung Organisiertes Verbrechen auf dem Tisch, ihre
Terrorabwehr-Sektion zu übernehmen. Und dann habe ich gehört, es wird
ein Team zusammengestellt, das sich mit den Sicherheitsvorkehrungen für
die Olympischen Spiele in London befasst. Eins von beiden wäre schon
interessant.«
    »Verbunden mit einer Beförderung, natürlich.«
    »Natürlich. Beim Gipfelsturm gibt es doch nur zwei
Richtungen – rauf oder runter. Stillstand ist auch keine
Option.« Rouse blickte zu ihm auf, und um seine Augen kräuselten sich
Fältchen, die der Anfang eines Lächelns, aber auch der Anfang eines
besorgten Stirnrunzelns sein konnten. »Lassen Sie uns bald mal zusammen
Mittag essen. Wir sollten uns über die Zukunft unterhalten. Über Ihre Zukunft. Meine Sekretärin wird das arrangieren.«
    Seine Augen wandten sich wieder den vor ihm liegenden Papieren
zu, und er begann zu schreiben. Es war eine Aufforderung zum Wegtreten.
Lapslie schaute noch einmal aus dem Fenster, dann verließ er das Büro
und zog die Tür hinter sich zu. Er fühlte sich irgendwie losgelöst,
abgekoppelt von der Welt.
    Draußen blieb er am Schreibtisch der Sekretärin stehen.
    »Diese beiden Männer, die da gerade weggegangen sind, als ich
reinging«, sagte er. »Ich hätte schwören können, dass ich einen von
denen kannte. Ich glaube, wir waren zusammen auf einem Kurs in
Sandridge. Wer waren die?«
    Die Sekretärin konsultierte ihren Computer. »Das waren
Besucher vom Justizministerium«, berichtete sie, »Mr. Geherty und Mr.
Wilmington. Welcher war denn Ihr Freund?«
    »Oh, ich habe nicht gesagt, dass er mein Freund war«,
entgegnete Lapslie ruhig. »Danke für Ihre Hilfe.«
    Geherty. Es konnte im Justizministerium nicht allzu viele
Leute mit einem solchen Namen geben – vorausgesetzt, sie kamen
tatsächlich von dort.
    Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück und schnitt eine
Grimasse wegen des salzigen Blutgeschmacks, mit dem das Stimmengewirr
im Großraumbüro seinen Mund überschwemmte, dann suchte er in seinem
Computer die Nummer der neuen Büros des Justizministeriums in London
heraus und wählte.
    »Guten Morgen«, sagte er, als sich jemand meldete. »Könnten
Sie mich bitte mit Mr. Geherty verbinden?«
    Eine Weile war es still, während die Sekretärin in

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