Kaltes Gift
des
Tatorts fertig – jedenfalls der Stelle, wo die Leiche gefunden
wurde. Wir müssen noch feststellen, ob sie auch dort getötet worden
ist. Zurzeit untersuchen wir Violet Chambers' Hintergrund, für den
Fall, dass es in ihrer Vergangenheit etwas gibt, das den Mord erklären
würde.«
Eben hatten zwei Gestalten tief unter ihm das Gebäude
verlassen. Sie strebten auf die für Besucher reservierten Parkflächen
zu.
»Glauben Sie, es gibt eine reelle Chance, dass Sie den
Schuldigen erwischen?«
Er zuckte die Schultern. »Ist noch zu früh, um das sagen zu
können, Sir. An Hinweisen fehlt es uns nicht, wenn es das ist, was Sie
meinen.«
Die beiden Gestalten dort unten hatten sich jetzt getrennt und
traten von beiden Seiten an einen schwarzen Wagen heran. Von dort aus,
wo Lapslie stand, war es schwer zu erkennen, aber es konnte ein Lexus
sein. Das Kratzen des Stiftes verstummte kurz. »Ich überlege, ob die
relativ geringen Erfolgsaussichten in diesem speziellen Fall es nicht
nahelegen, die Ermittlung herunterzustufen. Konzentrieren Sie sich auf
etwas anderes, wo Sie bessere Aussichten auf eine Festnahme haben.«
Als der Wagen unten startete und aus dem Parkplatz fuhr,
drehte sich Lapslie um und begegnete Superintendent Rouses Blick.
»Empfehlen Sie mir, die Ermittlungen einzustellen, Sir?«
»Ich würde niemals empfehlen, dass wir Ermittlungen
einstellen, Mark. Ich frage mich bloß, ob unsere Prioritäten richtig
gesetzt sind.«
»Ich denke, es ist zu früh, um das zu sagen«, erwiderte er,
wohl wissend, dass er Ausflüchte machte. Er hatte einen merkwürdigen
Geschmack im Mund: etwas wie Muskatnuss, obwohl er es nicht ganz
einordnen konnte. Er hatte das schon früher geschmeckt. Meistens
während eines Verhörs, wenn irgendein Penner ihm etwas über seinen
Aufenthaltsort zur Tatzeit vorschwindelte oder ihn überzeugen wollte,
dass er den hochkarätigen BMW, in den er nachts um drei hatte
einsteigen wollen, von einem Freund geliehen bekommen hatte, dessen
Name ihm vorübergehend entfallen war. Es war der Geschmack der Lügen;
oder, sehr gelinde ausgedrückt, das Aroma der Ausrede. Der Geschmack
von jemandem, der etwas sagte, um etwas anderes nicht sagen zu müssen.
Aber warum sollte Superintendent Rouse seiner Frage ausweichen?
»In ein paar Tagen kann ich Sie wissen lassen, ob eine reelle
Aussicht besteht, dass der Fall gelöst wird«, sagte er.
Rouse nickte. »Ich denke, wir verschwenden vielleicht zu viel
Zeit und Personal für dieses Problem«, meinte er und kräuselte die
Lippen. »Es ist ein alter Fall, und es gibt herzlich wenig Indizien.
Vielleicht sollten wir das Team verkleinern.«
»Das Team«, erwiderte Lapslie ruhig, »ist
ein Detective Chief Inspector, den man aus dem Krankenstand
zurückgeholt hat, und ein Detective Sergeant namens Emma Bradbury, die
Probleme mit der richtigen Einstellung hat. Solange Sie nicht Emma
Bradbury durch Marie aus der Kantine ersetzen wollen, ist schwer
vorstellbar, wie man die Effizienz des Teams noch reduzieren kann.«
»Na schön«, sagte Rouse und wich Lapslies Blick aus. »Lassen
wir die Dinge, wie sie sind. Fürs Erste.« Er legte seinen Stift hin,
lehnte sich in seinem Designerstuhl zurück und betrachtete Lapslie mit
einem leisen Lächeln. »Wir haben's beide ganz schön weit gebracht, was,
Mark?«
»Seit damals, in den Achtzigern in Kilburn? Seit all den
Nächten, die wir damit zugebracht haben, Crackdealer und Gangbrüder
festzunehmen und Drei-Tage-Raves zu beenden? Jetzt ist das wie eine
andere Welt.«
»Ich staune, dass Sie immer noch weitermachen – vor
allem mit Ihren Problemen. Haben Sie schon mal daran gedacht, in
Frührente zu gehen?«
Lapslie zuckte die Achseln. »Wer hätte das nicht in unserem
Alter? Wenn man zum zehnten Mal innerhalb eines Monats von seinem
Schreibtisch aus die Sonne aufgehen sieht? Wenn einem klar wird, dass
Mehrarbeitssperre heißt, dass man für sämtliche Überstunden, die man
reingebuttert hat, keinen Penny kriegt? Und wenn ich ganz genau weiß,
dass meine speziellen … Probleme nicht ausreichen, mich zu
pensionieren, wohl aber, eine weitere Beförderung zu verhindern? Dieser
Gedanke ist mir mehr als einmal gekommen.«
»Warum bleiben Sie dann?«
Seufzend wandte Lapslie sich wieder zum Fenster und schaute
hinaus, diesmal nicht auf den Parkplatz, sondern weit hinüber, zu dem
ansteigenden Stück Straße in der Ferne, dem einzig Horizontähnlichen,
was man von diesem Büro aus sehen konnte. »Wo sollte ich denn
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