Kaltes Gift
Wald
führte eigentlich nirgendwohin, abgesehen von einigen wenigen kleinen
Dörfern.
Ein Klopfen an der Tür überschwemmte seinen Mund mit
Speckgeschmack. Er blickte auf. Emma Bradbury stand vor der Glastür und
hielt ein Blatt Papier in der Hand. Er bedeutete ihr, einzutreten.
»Boss, wir haben einen Durchbruch«, verkündete sie, als die
Tür aufschwang, und ihre Worte wurden von dem Stimmengewirr des
Großraumbüros unterspült. Der rauchige Speckgeschmack in Lapslies Mund
hatte sich noch nicht verzogen, als sich Zitrone von Bradburys Stimme
und getrocknetes Blut von dem angestiegenen Geräuschpegel
dazugesellten. Und auch noch Erdbeergeschmack – eine bizarre
Mixtur von Geschmäcken, die im realen Leben höchstens ein Kind kreieren
konnte, das sein Essen mit dem Nachtisch auf einem Teller
zusammenmanscht.
»Großartig«, sagte er, zuckte zusammen und schluckte heftig,
um die unvereinbaren Empfindungen loszuwerden. »Was ist passiert? Und
machen Sie um Himmels willen die Tür zu – ich genieße hier
drinnen gerade ein virtuelles Vier-Gänge-Menü.«
»Tut mir leid.« Sie trat ein und schloss die Tür hinter sich.
»Dieser Wagen, der die Reifenpanne hatte – der, von dem wir
annehmen, dass er die Leiche von Violet Chambers transportiert
hat …«
»Was ist damit?«
»Wir haben ihn gefunden.«
»Wir?«
Sie zog die Schultern hoch. »Na ja, ein Streifenpolizist in
Colchester. Der Wagen hat 'ne ziemliche Weile da in der Nähe des
Bahnhofs gestanden, legal geparkt, aber niemand hat ihn je von der
Stelle bewegt, sah aus, als wäre er einfach stehen gelassen worden. Der
Gemeinderat wollte ihn abschleppen lassen, aber dem Polizisten, der da
vorbeikam, ist der Rundruf eingefallen, den Sie durchgegeben hatten.
Und als klar war, dass wir nach dem Wagen fahnden, hat er angerufen.«
»Guter Mann.« Lapslie lehnte sich im Stuhl zurück. »Colchester
ist wie weit entfernt – fünfundzwanzig Kilometer?
Okay – ich will ein ganzes Spurensicherungsteam da unten im
Einsatz haben. Ich will, dass jeder Zentimeter dieses Wagens untersucht
wird, und zwar an Ort und Stelle.«
Bradbury blickte skeptisch drein. »Ich weiß, Sie waren 'ne
Weile aus dem Rennen, Chef, aber es ist eigentlich üblich, verdächtige
Fahrzeuge in eine CSI-Werkstatt zu schleppen, so dass sie unter
kontrollierten Bedingungen auseinandergenommen werden können.«
»Vielen Dank, dass Sie mich an die Standardprozedur erinnern,
aber hier könnte der Platz, wo der Wagen steht, für die Spurensicherung
wichtiger sein als der Wagen selbst. Ich weiß, er steht da schon
länger, aber vielleicht gibt es einen Fußabdruck in getrocknetem
Matsch, oder es ist etwas aus dem Wagen gefallen, als der Fahrer
ausgestiegen ist. Später können wir ihn in eine Werkstatt schleppen,
aber zunächst möchte ich, dass das Ganze als Tatort behandelt
wird – Wagen, Standort und alles.«
»Okay.« Sie nickte. »Wollen Sie rausfahren und ihn sich
ansehen?«
»Ja.«
Bradbury blickte auf ihre Uhr. »Fast Mittagspause. Vielleicht
können wir ja unterwegs was essen.«
Lapslie hatte noch immer das bizarre Geschmacksgemisch im
Mund, überlagert vom Geschmack von Bradburys Stimme. »Danke«, sagte er
säuerlich, »aber ich hab schon gegessen.«
Lapslie bestand darauf, dass sie seinen Wagen nahmen statt
Bradburys. Es war zwar gegen das Polizeiprotokoll, dass ein
Vorgesetzter jemanden chauffierte, der am Futtertrog weiter hinter ihm
rangierte als seinesgleichen, doch das Letzte, was er jetzt brauchte,
war der Marmeladengeschmack vom Motorsurren ihres Mondeos zu all dem
Zeug, das er bereits im Mund hatte. Überrascht stimmte sie zu.
Während der Fahrt war Bradbury damit beschäftigt, per Handy
den Einsatz des Spurensicherungsteams zu arrangieren. Es kostete sie
fünf verschiedene Anrufe, jeweils untermauert mit der vielleicht leeren
Drohung, Lapslie werde den Detective Chief Superintendent anrufen und
ihn dazu veranlassen, ihrer Arbeit Priorität zu verleihen und diesen
Fall ganz oben auf ihre Liste zu setzen.
Irgendwann schmeckte Lapslie plötzlich ganz schwach
Brombeerwein hinten auf der Zunge, und er vermutete, dass Bradbury
gerade mit Sean Burrows sprach, dem Einsatzleiter, der damals an den
Fundort von Violet Chambers' Leiche im Wald gerufen worden war. Er
konzentrierte sich aufs Fahren und bekam nicht alles mit, was Bradbury
sagte, aber nach dem harschen Ton zu urteilen, den sie anschlug, machte
sie erheblichen Druck, dass dies ein Fall von größter Wichtigkeit
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